Geliebter Barbar
packte den gemeißelten Grabstein am oberen Ende des Grabhügels. Lange brauchte sie, um ihn aus dem harten Boden zu zerren, und noch länger, ihn vollkommen zu zerstören … Am nächsten Morgen war sie reisefertig. Den Weg zu Tekels Kammer sparte sie sich. Sie würde ihm nicht Lebwohl sagen.
Die Diener wieselten eifrig um sie herum, immer bereit, ihr zu helfen, wenn es nötig war. Judith war sich bisher nicht klar darüber gewesen, daß sie ihr weitaus treuer ergeben waren als Onkel Tekel. Sie war gerührt über den Eifer und die Unterstützung ihrer Leute. Paul, der Stallmeister, hatte bereits das Packpferd mit ihrem Gepäck beladen. Gerade sattelte er ihr Lieblingspferd; eine gefleckte Stute namens Glory, als Jane mit einer Tasche aus dem Haus geeilt kam, die Verpflegung für die gesamte Reise enthielt. Nach Janes vor Anstrengung verzerrtem Gesicht zu urteilen, war die Tasche enorm schwer. Judith nahm an, daß sich Lebensmittel für eine komplette Armee darin befanden. Die Magd kämpfte förmlich, um den Proviant zum Stall zu schleppen.
Samuel, der Torwächter, kündigte plötzlich die Ankunft der schottischen Truppe an. Die Zugbrücke wurde augenblicklich herabgelassen. Judith stand auf der obersten Stufe der Eingangstreppe und rang sich nervös ein Willkommenslächeln ab.
Doch als die Krieger die Holzplanken der Brücke erreicht hatten und die Hufe ihrer Pferde im Hof klapperten, schwand ihr Lächeln. Sie schauderte. Bei der Truppe war nicht eine einzige Frau! Es gab nur Krieger, insgesamt vier, und sie wirkten riesig und primitiv. Angst zog ihr wieder einmal den Hals zu, als sie nah genug herangekommen waren, daß sie ihre Gesichter betrachten konnte. Keiner von ihnen lächelte. Weiß Gott, ihre Mienen waren ausgesprochen feindlich.
Die vier trugen ihre Jagdplaids. Wie Judith wußte, besaß jeder Clan zwei verschiedene Plaids. Die gedämpften Farben Gold, Grün und Braun wurden für die Jagd auf Wild bevorzugt … oder auf Feinde, denn diese Farben ließen die Träger der Plaids mit dem Wald verschmelzen, so daß sie unsichtbar für ihre Opfer waren. Für alle anderen Gelegenheiten wurden farbigere Stoffe benutzt.
Ihre nackten Knie überraschten Judith nicht. Sie war an diese seltsame Kleidung gewöhnt, denn alle Männer, die zu den Spielen an der Grenze kamen, trugen kniefreie Röcke. Sie konnte sogar einige Clans anhand der Farben ihrer Kleidung identifizieren. In England waren es die Banner, die die Farben ihres Barons trugen aber in Schottland – so hatte Frances Catherine ihr erklärt – erkannte man einen Clansherrn und seine Gefolgsleute an den Farben ihrer Kleidung.
Was Judith allerdings überraschte, waren ihre zornigen Mienen. Die konnte sie sich nicht erklären. Doch dann überlegte sie, daß sicher die lange Reise daran schuld war; die Männer waren erschöpft. Ein schwaches Argument – aber sie fand kein besseres.
Keiner der Krieger stieg vom Pferd, als sie vor Judith anhielten. Drei der Männer bildeten eine Reihe hinter dem vierten, den Judith für ihren Anführer hielt. Lange Zeit sagte keiner ein Wort. Unhöflich starrten sie sie nur an. Judith konnte nicht anders, als zurückzustarren, obwohl ihre Aufmerksamkeit sich ausschließlich auf den Anführer konzentrierte. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor solch eine Gestalt vor Augen gehabt zu haben. Der Mann faszinierte sie. Er war der größte der vier, und seine breiten Schultern schirmten das Licht der Sonne hinter ihm ab. Die Strahlen, die ihn umgaben, ließen ihn wie eine unbesiegbare, magische Erscheinung wirken. Das war er natürlich nicht. Er war schließlich auch nur ein Mann, von robuster Schönheit allerdings, und ganz gewiß der muskelbepackteste, den sie je sah. Der Rock, den er trug, klaffte an seinem linken Oberschenkel auf, und das kraftvolle Bein, das hervorkam, wirkte wie aus Stahl. Da es sich für sie nicht schickte, auf solche Körperteile zu starren, hob sie ihre Augen wieder zu seinem Gesicht. Seine Miene verriet nicht, ob er ihren unverschämten Blick bemerkt hatte, und sie atmete erleichtert auf.
Himmel, sie hätte den Rest ihres Lebens nur noch diesen Kriegsherrn anstarren können. Seine Haare, von einem dunklen, satten Braun, waren nur leicht gewellt, seine nackten Arme so gebräunt wie sein Gesicht mit dem markanten Profil. O ja, alles an ihm strotzte vor Gesundheit und Kraft. Aber es waren seine Augen, die sie am stärksten fesselten: wundervolle, strahlende, graue Augen!
Der Blick des Kriegers war
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