Geliebter Barbar
begriffen sie nicht. Und nachdem sie tagelang darüber nachgedacht hatten, erkannten beide, daß es gar nicht wichtig für sie war.
Schließlich legten sie sich einen Plan zurecht. Dazu gehörte, daß Judith weder ihre Mutter noch Onkel Tekel mit der Wahrheit konfrontieren sollte. Sie würde herausbekommen, daß Millicent Judith die Geschichte verraten hatte, und sicherlich müßte Judith dann ständig bei ihnen leben.
Allein diese Vorstellung jagte Judith Entsetzen ein. Tante Millicent, Onkel Herbert und Frances Catherine waren Judiths Familie, die einzigen Menschen, denen sie vertraute. Sie würde keinesfalls zulassen, daß ihre Mutter sie von ihr trennte.
Judith mußte sich also in Geduld üben und warten, bis sie älter war. Dann wollte sie in die Highlands reisen und jenen Mann aufspüren, der sie gezeugt hatte. Frances Catherine versprach, ihr dabei zu helfen.
Die folgenden Jahre verstrichen schnell, selbst für eine junge Frau, die die Welt erobern wollte. Frances Catherine wurde einem Mann von der Grenze, aus dem Stewart-Clan, versprochen. Aber drei Monate vor dem Hochzeitstag überwarfen die Kircaldys sich mit dem Stewart-Clansherrn. Patrick Maitland nutzte die Fehde aus und hielt eine knappe Woche, nachdem der Vertrag mit den Stewarts gebrochen war, um Frances Catherines Hand an.
Als Judith erfuhr, daß ihre Freundin einen Highlander geheiratet hatte, war sie sicher, daß das Schicksal ihr eine helfende Hand reichte. Sie hatte Frances Catherine einst versprochen, zu ihr zu kommen, sobald sie ein Kind erwartete. Und dort würde sie gewiß einen Weg finden, ihren Vater zu treffen.
Morgen sollte die Reise losgehen. Frances Catherines Verwandte waren in diesem Moment auf dem Weg, sie zu holen. Das Problem war nur, wie sie es Onkel Tekel erklären sollte.
Wenigstens war ihre Mutter endlich wieder in London. Der Haushalt geriet stets in Aufruhr, wenn ihre Mutter zu Hause war. Aber wie immer war ihr das Landleben schnell zu eintönig geworden, und so war sie letzte Woche schließlich wieder abgereist. Lady Cornelia liebte das Durcheinander und den Klatsch am Hof, die lasche Moral des alltäglichen Lebens und
– dies ganz besonders – Intrigen und Geheimnisse, die mit den verworrenen Liebschaften und Beziehungen Hand in Hand gingen. Momentan hatte sie ein Auge auf Baron Ritch, den schönen Gatten einer ihrer besten Freundinnen, geworfen und sich einen Plan zurechtgelegt, wie sie ihn innerhalb von zwei Wochen in ihr Bett bekommen konnte. Judith hatte gehört, wie ihre Mutter damit vor Tekel geprahlt und über sein anschließendes Entsetzen laut gelacht hatte.
Nichts, was ihre Mutter tat, überraschte Judith. Sie war dankbar, daß sie nur mit Onkel Tekel auskommen mußte. Bis zum Vorabend ihrer Abreise hatte sie damit gewartet, ihn über ihre Pläne zu unterrichten. Sie dachte nicht daran, ihn um Erlaubnis zu bitten, aber es wäre einfach ungehörig gewesen, ohne Erklärung das Haus zu verlassen.
Dennoch fürchtete sie das Gespräch. Auf der Treppe zu seiner Schlafkammer spürte sie wieder den vertrauten Kloß im Hals und betete im stillen darum, daß das Ale ihn heute abend melancholisch und nicht jähzornig stimmen möge. Das Zimmer war dunkel. Ein feuchter, moschusartiger Geruch hing in der Luft. Judith hatte jedesmal, wenn sie seine Kammer betrat, das unangenehme Gefühl, ersticken zu müssen. Auch jetzt erging es ihr so, und sie atmete tief ein, um ihre Nerven zu beruhigen.
Auf der Truhe neben Tekels Bett brannte eine Kerze. Judith konnte in den Schatten kaum das Gesicht ihres Onkels ausmachen. Tief in ihrem Inneren regte sich wie immer die Angst vor einem Brand, der durch eine vergessene Kerze entfacht werden könnte, wenn Tekel betrunken einschlief.
Sie rief seinen Namen, doch er gab keine Antwort. Also trat sie ins Zimmer. Da bemerkte Tekel sie und winkte sie heran. Sein unsicheres Lächeln sagte ihr, daß er heute abend nicht jähzornig war, seine Stimme war undeutlich, als er zu ihr sagte: »Bleib bei mir. Ich will dir eine Geschichte aus der Zeit erzählen, als ich mit deinem Vater in den Kampf zog. Wußtest du schon, daß er stets dieselbe Ballade sang, sobald die Fanfaren zum Angriff bliesen? Er sang immer, wenn er kämpfte. Die ganze Zeit.«
Judith setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. »Onkel, bevor du anfängst, muß ich mit dir über eine wichtige Sache sprechen.«
»Ist es nicht wichtiger, etwas über deinen Vater zu hören?«
Sie ignorierte die Frage. »Ich muß dir etwas
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