Geliebter Barbar
fühlte sich während der Wehen vollkommen hilflos. Sie versuchte, die Frau mit Lobesworten zu trösten, und als Isabelle sie darum bat, massierte sie ihr den unteren Rücken, um den Schmerz zu lindern.
Die letzte Stunde war die zermürbendste. Isabelle wurde herrisch. Sie wollte ihr Haar geflochten bekommen, und sie wollte es jetzt. Judith dachte nicht einmal daran, mit ihr zu streiten. Die sanftmütige Frau war zu einer Furie geworden, und wenn sie nicht gerade Befehle bellte, schimpfte sie auf Winslow, den sie für ihre Schmerzen verantwortlich machte.
Doch der Anfall dauerte nicht lange. Und Judiths Gebete wurden erhört – die Geburt war nicht schwierig. Isabelle entschied sich, den Gebärstuhl zu benutzen. Sie stieß einen markerschütternden Schrei aus, dann noch einen und noch einen, und das Baby kam. Judith kniete vor ihr, und wenn Isabelle sich nicht an den lederbezogenen Griffen an den Stuhlseiten festklammerte, dann packte sie Judiths Hals. Sie hätte Judith erwürgen können, ohne es überhaupt zu bemerken, denn – Herr im Himmel – sie war eine kräftige Frau! Es kostete Judith all ihre Kraft, Isabelles Finger zu lösen, so daß sie weiteratmen konnte.
Minuten später war ein hübscher kleiner Junge geboren. Plötzlich hätte sich Judith fünf weitere Paar Hände gewünscht. Sie versuchte, Winslow zur Hilfe zu rufen, aber Isabelle weigerte sich energisch. Zwischen Lachen und Weinen erklärte sie Judith, sie wolle nicht, daß ihr Mann sie so sah.
Judith widersprach ihr nicht. Isabelle war zwar schwach, aber sie strahlte. Sie hielt ihren Sohn im Arm, während Judith sich um die anderen notwendigen Dinge kümmerte.
Das Baby schien gesund zu sein. Sein Geschrei war jedenfalls kraftvoll genug. Begeistert betrachtete Judith den Winzling. Er war so klein und doch in jeder Hinsicht so perfekt! Sie zählte nach, ob auch alle Finger und Zehen da waren. Sie waren es, und Judith fühlte sich durch dieses Wunder fast überwältigt.
Viel Zeit, dieses Gefühl auszukosten, blieb ihr jedoch nicht, denn es war noch einiges zu tun. Es bedurfte noch einer vollen Stunde, Isabelle und ihren Sohn zu baden und ins Bett zu bringen. Der Kleine wurde in ein weiches, weißes Tuch gewickelt und mit dem wollenen Plaid seines Vaters bedeckt. Als Judith ihn schließlich versorgt hatte, schlief das Baby tief und fest. Sie legte es in die Armbeuge seiner Mutter.
»Bevor ich Winslow hole, mußt du mir noch etwas versprechen«, sagte Judith. »Du darfst nicht zulassen, daß morgen irgend jemand etwas … mit dir macht. Wenn Agnes oder Helen dir etwas hineintun wollen, mußt du dich wehren.«
Isabelle verstand nicht, und Judith beschloß, deutlicher zu werden. »Einige von den Hebammen, mit denen ich in England gesprochen habe, schworen darauf, den Geburtskanal mit Asche und Gräsern zu stopfen. Einige benutzten sogar Dreck, um daraus eine Paste zu machen. Maude hat mich davon überzeugt, daß so eine Packung mehr Schaden als Heil verursacht, aber dieses Ritual ist von der Kirche auferlegt. Also kannst du Ärger bekommen mit dem, um das ich dich bitte …«
»Ich werde mich von niemandem anfassen lassen«, flüsterte Isabelle. »Wenn jemand fragt, könnte ich ja sagen, daß ich mich darum schon gekümmert hätte.«
Judith stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. »Ja«, sagte sie. »Wir tun so, als hätte ich dies schon getan.« Dabei zog sie die Decken auf dem Bett zurecht.
Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, um sicherzugehen, daß alles aufgeräumt war, nickte schließlich zufrieden und lief dann, um Isabelles Mann zu holen.
Winslow wartete draußen vor der Tür. Der arme Mann sah entsetzlich krank aus. »Geht es ihr gut?«
»Ja«, antwortete Judith. »Sie möchte Euch sehen.«
Winslow bewegte sich nicht. »Warum weinst du? Stimmt etwas nicht?«
Judith hatte gar nicht bemerkt, daß ihr die Tränen herabliefen, bis er sie darauf angesprochen hatte. »Es ist alles in Ordnung, Winslow. Komm jetzt herein.«
Plötzlich hatte es Winslow schrecklich eilig, zu seiner Familie zu kommen, und Judith konnte eben noch beiseite treten, als er hineinstürmte. Das erste Zusammentreffen von Vater und Sohn sollte eine private Angelegenheit sein, und Judith wollte nicht lauschen. Also zog sie die Tür von außen zu und lehnte sich dagegen.
Plötzlich fühlte sie sich vollkommen ausgelaugt. Die emotionalen Prüfungen der vergangenen Stunden hatten an ihren Kräften und ihrer Gemütsverfassung gezehrt. Sie zitterte wie ein
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