Geliebter Barbar
Blatt im Sturm.
»Bist du hier fertig?«
Iain stand am Ende des schmalen Pfades zum Haus und lehnte an der kleinen Mauer. Seine Arme waren lässig vor der Brust verschränkt. Er sah sehr ausgeruht aus.
Sie sah wahrscheinlich verheerend aus. »Ich bin fürs erste hier fertig«, antwortete sie und ging auf ihn zu. Die nächtliche Brise tat ihrem Gesicht gut, aber sie steigerte ihr Zittern noch. Ihre Beine bebten so sehr, daß sie sich kaum aufrecht halten konnte.
Judith fühlte sich, als würde sie innerlich auseinanderfallen, und atmete tief ein, um sich wieder in den Griff zu bekommen. Sie empfand es als rettende Gnade, daß Iain niemals erfahren würde, wie nah sie dem Zusammenbruch war. Eine derartige Schwäche würde ihn sicherlich selbst bei einer Frau abstoßen. Außerdem wäre es demütigend, in seiner Gegenwart zu weinen. Schließlich hatte sie immer noch ihren Stolz. Sie hatte es noch nie nötig gehabt, sich an jemanden zu lehnen, und sie würde es auch jetzt nicht tun.
Noch einmal holte sie tief Atem. Aber es half nichts. Das Zittern wurde immer stärker. Sie befahl sich im stillen, sich zusammenzureißen. Sie würde sich nicht entwürdigen. Sie hatte ein starkes Erlebnis hinter sich, ja, aber sie hatte es überstanden, und sie würde nun in ihr Bett gehen, bevor sie zu schluchzen, zu stammeln und weiß der Himmel was anfing.
Für Judith hörte sich der Plan sehr vernünftig an, doch ihr Herz sagte etwas anderes. Sie wollte allein sein, aber gleichzeitig sehnte sie sich nach Iains Trost, nach seiner Kraft, seinen Armen. Sie selbst fühlte sich ausgelaugt. Der Himmel mochte ihr helfen, aber sie brauchte ihn.
Eine erschreckende Erkenntnis. Sie zögerte einen Sekundenbruchteil. Und dann öffnete Iain seine Arme. In diesem Moment verlor sie die Schlacht. Sie begann auf ihn zuzurennen, warf sich an seine Brust, schlang ihre Arme um seine Hüften und brach in unkontrolliertes Schluchzen aus.
Er sagte kein Wort – es war nicht nötig. Seine Berührung war alles, was sie nötig hatte. Iain lehnte immer noch an dem Mäuerchen, und Judith stand zwischen seinen Beinen, den Kopf in seiner Halsgrube und weinte hemmungslos, bis sein Umhang naß war. Zwischen ihren Schluchzern stammelte sie unzusammenhängende Sätze, und er konnte sich keinen Reim darauf machen, was sie ihm zu sagen versuchte.
Er dachte schon, der Sturm hätte sich gelegt, als sie einen Schluckauf bekam. »Atme ein paarmal tief ein«, wies er sie an.
»Bitte laß mich allein.«
Es war ein lächerlicher Befehl, gemessen daran, wie sie sich an ihn festklammerte. Iain legte sein Kinn auf ihren Kopf und hielt sie noch ein wenig fester.
»Nein«, flüsterte er. »Ich werde dich niemals allein lassen.«
Seltsam genug, aber sein Widerspruch tröstete sie. Sie trocknete ihr Gesicht mit seinem Plaid und sank dann wieder gegen seine Brust.
»Es ist alles gutgegangen, nicht wahr?« Iain wußte die Antwort auf die Frage schon. Ihr strahlendes Lächeln, mit dem sie Winslow die Tür geöffnet hatte, war Antwort genug gewesen. Aber er dachte, daß sie sich schneller beruhigen würde, wenn er sie an den glücklichen Ausgang der Ereignisse erinnerte. Vielleicht würde sie dann ruhiger.
Judith dachte allerdings nicht daran, vernünftig zu reagieren. »Gott sei mein Zeuge, Iain – ich werde so etwas nicht noch einmal machen. Hast du mich verstanden?«
»Scht«, machte er. »Du weckst England auf.«
Sie konnte seinen Scherz nicht würdigen, senkte jedoch trotzdem ihre Stimme, als sie zum zweitenmal schwor. »Ich werde niemals ein Baby bekommen. Niemals. «
»Niemals ist eine lange Zeit«, argumentierte er. »Vielleicht wird sich dein Mann einen Sohn wünschen.«
Sie entzog sich ihm. »Es wird keinen Mann geben«, verkündete sie. »Ich werde niemals heiraten. Bei Gott, dazu kann sie mich nicht zwingen!«
Er zog sie zurück in seine Arme und drückte ihren Kopf an seine Schulter. Er war entschlossen, sie zu trösten, ob sie nun wollte oder nicht. »Wen meinst du? Wer kann dich nicht zwingen?«
»Meine Mutter.«
»Was ist mit deinem Vater? Hat er bei deiner Hochzeit nicht ein Wort mitzureden?«
»Nein«, antwortete sie. »Er ist tot.«
»Aber sein Grab ist leer. Hast du vergessen?«
»Was weißt du über sein Grab?«
Er seufzte. »Du hast es mir erzählt!«
In diesem Moment erinnerte sie sich wieder. Sie hatte den Grabstein niedergerissen und war dumm genug gewesen, damit vor den Schotten zu prahlen.
»In meinem Herzen ist der Mann so gut wie
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