Geliebter, betrogener Mann
Pohlands zu einem völligen Zusammenbruch geführt haben. Bitte, Herr Kollege, passen Sie auf sie auf wie auf Ihren Augapfel.«
Tutti empfing ihre Mutter mit dem freudigen Quietschen, das für Außenstehende grauenhaft wirkte und eine Gänsehaut erzeugte. Sie umfing mit ihren deformierten Armen den Hals Gerdas und drückte den Kopf, dieses unförmige Gebilde mit den hellen, blauen, klugen, unheimlich lebenden Augen an ihre Brust. Dann zeigte sie, was sie in den vergangenen Monaten alles getan hatte … Bilder von ergreifender Zartheit, aus Plastillin modellierte Tiere von begeisternder Grazie.
»Ich überlege, ob wir ihr nicht Ton geben sollten«, sagte Dr. Dornburg, als er mit Gerda im Park spazierenging. »Sie hat eine ungeheure Begabung. Es ist immer wieder verblüffend und unverständlich, wie unter diesen Fingern solche Werke entstehen können. Es ist, als habe die Natur alles, was sie an Tutti verleugnete, in diese eine Begabung gesteckt. Bisher hatte ich immer Angst, sie würde den Ton in den Mund stecken, aber mit dem Plastillin ist es gutgegangen; sie hatte sofort begriffen, was man damit machen kann, und sie war glücklich wie nie, als sie das erste Tier, übrigens bezeichnenderweise einen Vogel mit ausgebreiteten Schwingen, modelliert hatte.«
Dr. Dornburg schwieg und rauchte nervös seine Zigarette. Gerda sah, daß er etwas mit sich herumtrug, das er schwer sagen konnte. Sie blieb stehen und sah zu dem Kind hinüber, das auf der Wiese saß und ein Windrädchen in den Wind hielt. Das Spiel eines Säuglings in der Hand einer Neunjährigen.
»Sie verschweigen mir noch etwas, Doktor?« fragte sie leise. Dr. Dornburg nickte.
»Vor vier Wochen gab es einen Zusammenbruch bei Tutti …«
»Wie soll ich das verstehen?« Gerda sah Dr. Dornburg fragend an. Der Arzt nickte ein paarmal schwer.
»Ich habe Ihnen nichts davon geschrieben, weil ich nicht wußte, ob wir Tutti wieder unter Kontrolle bekommen oder nicht. Wäre das Letztere eingetroffen, hätte ich Sie sofort angerufen. Sie hat fast zwei Wochen getobt, geschrien, sich in Krämpfen gewälzt, mit Schaum vor dem Mund, und es hatte allen Anschein, als suchte sie in dieser Zeit irgendeine Gelegenheit, sich zu töten. Im letzten Augenblick konnte eine Schwester verhindern, daß sie sich aus dem Fenster stürzte. Es bleibt uns bis heute ein Rätsel, wie sie auf die Fensterbank gekommen ist.«
»Um Gottes willen!« stammelte Gerda bleich.
»Aber dann konnten wir sie beruhigen. Wie Sie sehen, ist es die alte Tutti, im Gegenteil, sie erscheint mir nun noch fröhlicher. Und das macht mich nachdenklich. Es kann eine große Komödie sein, die sie uns vorspielt. Darum bin ich so froh, daß Sie hier sind. Solange Sie hier sind, besteht keine Gefahr.«
»Und warum … wie ist das alles gekommen …?«
»Durch eine Unachtsamkeit eines der Putzmädchen. Es vergaß in Tuttis Zimmer die Schürze, und in der Schürzentasche war ein Handspiegel.«
»Mein Gott!« stammelte Gerda.
»Zum erstenmal sah Tutti, wie sie ist. Ihre Glieder … das kannte sie ja. Aber sie hatte noch nie ihren Kopf gesehen. Nun erkannte sie, welches Wesen sie ist … sie, die die Schönheit der Umwelt so zart malen kann. Und sie begreift …« Dr. Dornburg senkte den Kopf. »Es war schrecklich«, sagte er leise. »Ich habe viel erlebt … aber diesen Aufschrei werde ich nie aus dem Gehör verlieren.«
An dem Nachmittag dieses Tages waren Gerda und Tutti allein im Park. Sie saßen auf der Wiese, und Gerda hatte sich vorgenommen, ihrer Tochter zu erzählen, daß sie ein Schwesterchen oder Brüderchen bekommen würde. Es war möglich, daß sie es gar nicht begriff – aber wenn sie es verstand, sollte sie sich freuen.
»Hör einmal, Tutti«, sagte Gerda und legte den Arm um den unförmigen Körper des Kindes, »ich muß dir etwas Schönes erzählen.«
Die schönen, großen blauen Augen Tuttis sahen Gerda fragend und etwas kritisch an. Der Kopf nickte.
»Mami hat sich vom lieben Gott noch ein Kind bestellt. Wir werden bald zu dritt sein … Stell dir vor: ein Babychen.«
Tutti sagte nichts. Nur ihre Augen wurden plötzlich dunkel und abgrundtief. Gerda sah es nicht … sie blickte hinauf in die Wolken und dachte an Micha. Dabei legte sie die Hände auf ihren schon gewölbten Leib und empfand ein großes Glücksgefühl.
Sie schrak auf, als neben ihr ein merkwürdiger Laut aufquoll. Es war erst wie ein Gurgeln, dann ging es in ein Greinen über, das sich zu einem wilden Kreischen steigerte. Mit
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