Geliebter, betrogener Mann
Johannes kann allein zurückfahren.«
»Aber die Weihnachtsfeier, die Gäste, der Empfang …«
»Ich pfeife auf alles.« Pohland legte den Arm um Gerda und drückte ihren Kopf an sich. »Du glaubst doch nicht, daß ich dich noch eine einzige Stunde allein lasse …«
»Aber Micha!« Sie wehrte sich gegen seine Zärtlichkeit und trat einen Schritt zurück. »Ich kann dir nicht die Frau sein, die du geheiratet hast.«
»Das darfst du nie mehr sagen, Gerda. Wir werden auch ein Kind haben. Ein schönes, gesundes Kind.«
Sie riß den Mund auf, als wolle sie aufschreien, aber die Angst lähmte jeden Ton in ihr.
»Nein …«, stammelte sie mit letzter Anstrengung. »Nein … nein … ich habe Angst.«
»Ich werde dir diese Angst nehmen. Ich, Michael Pohland.«
»Und wenn … wenn …«
»Es gibt kein Wenn.«
Sie wandte sich ab und legte die Stirn an die Mauer. Ihre Hände zuckten.
»Noch einmal, Micha, noch einmal das … ich würde mir das Leben nehmen.«
Dr. Dornburg kam aus dem Zimmer. Er blickte zuerst zu Pohland, dann zu Gerda, die lautlos gegen die Wand weinte.
»Was soll das?« fragte er Pohland. Sein Gesicht war verschlossen und fast feindselig.
»Ich versuche meiner Frau zu erklären, daß dies hier ein Einzelfall ist, daß er sich nicht wiederholt.«
»Erklären Sie nichts, beweisen Sie es!«
»Nein, nein, nein«, stöhnte Gerda.
Dr. Dornburg nahm Pohland etwas zur Seite.
»Sie haben eine große Aufgabe vor sich«, sagte er leise. »Sie müssen sieben Jahre überwinden helfen und dieses Trauma in ihr lösen, daß alle ihre Kinder so aussehen wie Tutti. Sie müssen mit Liebe und vor allem Geduld, Geduld und nochmals Geduld versuchen, diese Angst abzubauen. Wie Sie das machen – ich weiß es nicht. Ich kann Ihnen Ratschläge aus der psychiatrischen Praxis geben, aber die helfen hier wenig. Sie müssen das werden, was man ziemlich kitschig ›ihr Lebensinhalt‹ nennt. Sie müssen, und hier liegt das ganze Problem, stärker werden als dieses Kind. Und Sie werden es können.«
»Ich will es versuchen, Doktor.« Pohland sah auf die Tür, hinter der Theodora jetzt still mit der zerfetzten Puppe spielte. »Bitte, tun Sie alles, was nur möglich ist, um Tutti das Leben so angenehm zu gestalten, wie sie es empfindet. Ich übernehme alle Kosten, ich …« Er wischte mit einer Handbewegung seine eigenen Worte weg. »Ich weiß, Doktor, was Sie denken: Hier hilft auch kein Geld. Mehr, als die Lebensfunktionen erhalten, kann man nicht. Halten Sie es für gut, wenn meine Frau öfters Tutti besucht – oder ist es besser, sie zu bewegen, ihr Kind nicht mehr zu sehen?«
Dr. Dornburg hob die Schultern. »Das muß ich Ihnen überlassen und der Entwicklung der Dinge in Ihrer Ehe. Für Tutti ist es besser, wenn Ihre Gattin öfter kommt; sie hängt sehr an ihrer Mutter.«
»Sie … sie weiß, daß es ihre Mutter ist?«
»Aber natürlich. Haben Sie nicht die Augen gesehen? Augen eines siebenjährigen Mädchens mit dem Verstand ihres Alters. Nur der Körper ist unmenschlich. Das Hirn ist in voller Funktion, bis auf das Sprachzentrum.«
»Mein Gott, wenn dieses Wesen begreifen lernt, daß es anders ist als andere Menschen!«
»Das erkennt es bereits. Wie wir mit diesem von Jahr zu Jahr wachsenden Problem fertig werden, wissen wir alle noch nicht. Vor allem, wenn Theodora in die Pubertät kommt.«
»Das ist auch möglich?« flüsterte Pohland entsetzt.
»Das ist sogar sicher. Alle inneren Organe sind normal, nur die Schale ist so deformiert. Stellen Sie sich einen zerknitterten, zerbeulten Karton vor, in dessen Innerem eine unversehrte Porzellanvase liegt. Eine Unvorsichtigkeit, und auch sie kann zertrümmert werden.«
»Und deshalb hat sie mich so angeschrien?«
»Ja. Sie waren ihr unsympathisch. Sie waren zu gesund, zu kräftig, zu sehr vitales Leben, zu schön aus ihrer Sicht. Und sie entdeckte in Ihren Augen das Mitleid … das machte sie rasend.« Dr. Dornburg sah Pohland plötzlich mit einem ruckartigen Kopfheben groß an. »Ich glaube, ich habe einen Weg, auf dem Ihre Gattin die Angst verlieren könnte. Er führt über Tutti zu ihr …«
»Über das Kind?«
»Frauen sind darin ein ewiges Geheimnis. Wenn Tutti Sie anerkennt, und wenn Sie mit dem Kind so spielen können, als sei es Ihr und Ihrer Frau eigenes Kind, glaube ich, daß sich die Angst verliert. Es ist ja keine Angst vor der Möglichkeit, wieder solch ein Kind zu bekommen, sondern nur die Angst, mit einem solchen Kind Ihre Liebe zu verlieren.
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