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Geliebter, betrogener Mann

Geliebter, betrogener Mann

Titel: Geliebter, betrogener Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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leise, damit es Gerda nicht hörte, die etwas abseits stand und mit einer Schwester sprach, die diese Station betreute. Dann drückte er die Klinke herunter und ließ Pohland eintreten.
    Michael Pohland tat drei Schritte ins Zimmer, dann blieb er stehen. Er wußte nicht zu erklären, was er empfand, ob Erschrecken oder Entsetzen, Grauen oder Abscheu … er starrte auf das Wesen, das auf der Erde saß, und er spürte, wie sein Herzschlag aussetzte.
    Auf dem Fußboden war eine Decke ausgebreitet. Darauf saß ein Etwas, das Gliedmaßen wie ein Mensch hatte, nur verbogen, verkrümmt, muskellos. Mit Haut bespannte Knochen. Gliedmaßen, die vielfach gebrochen schienen und schief wieder zusammengewachsen waren. Dazwischen war ein Körper, rund und prall, und auf diesem Körper saß ein Gebilde, das ein Kopf sein sollte und ein deformierter Klumpen war mit einem Schlitz als Mund, zwei verquollenen Nasenlöchern und struppigen Haaren. Nur eines war in dieser unförmigen Masse erkennbar, und es war so rein, so schön, so unendlich lebenswahr, daß Pohland krampfhaft schluckte: die Augen. Große, blaue Augen, die ihn jetzt deutlich fragend ansahen, die ihn musterten, die ihn abtasteten, die zu Dr. Dornburg wanderten und dann Gerda erkannten, die gerade in das Zimmer kam. Da hoben sich die verkümmerten und verkrümmten Arme, da krochen die Beine über die Decke, und der Schlitz in dem birnenförmigen Kopf riß auf und begann, lallende Laute auszustoßen, die in ein hohes Quieken übergingen.
    »Mein Liebling«, sagte Gerda laut. »Ja, ich bin wieder da, mein Kleines …« Sie kniete sich auf den Boden, streckte die Arme aus, zog das nur menschenähnliche Wesen an sich, und dann küßte sie es auf den lallenden Schlitz, drückte den Kopf an die Brust, streichelte den Kugelkörper und die struppigen Haare. Der Kopf des Wesens schob sich über Gerdas Schulter empor, und während sie den Körper noch immer umfangen hielt, starrten die großen, blauen, lebendigen Augen unverwandt zu Michael Pohland.
    »Theodora Sanders«, sagte Dr. Dornburg leise hinter Pohland. »Genannt Tutti. Sieben Jahre alt … wie Sie sehen, lebensfähig, aber mehr auch nicht.«
    »Mein Gott, mein Gott«, stammelte Pohland erschüttert. »Daß es so etwas gibt, Doktor!«
    »Tutti ist noch ein schönes Kind. Ich habe zwei Kinder von syphilitischen Eltern hier. Dem einen fehlt der Hinterkopf, dem anderen …«
    »Bitte, hören Sie auf, Doktor.« Pohland lehnte sich an die Wand. Er starrte in die herrlichen blauen Augen des Kindes und versuchte, ihm zuzunicken. Da zog es den Kopf wie eine Schildkröte zurück und verbarg ihn wieder an Gerdas Brust. Das Quieken verstummte; nun klangen die Laute wie ein Schnurren und ein rhythmisches Stammeln.
    »Jetzt erzählt sie etwas«, erklärte Dr. Dornburg leise. »Selbstverständlich versteht es keiner, aber es ist erstaunlich, daß dieser Kopf denken kann und ein Mitteilungsbedürfnis hat. Wir beobachten das Mädchen seit drei Jahren. In fortschreitendem Maße, so wie sie sich altersmäßig entwickelt, wächst ihr Drang, etwas zu tun und Kontakte zu finden. In den vergangenen Jahren lag sie nur im Bettchen, ein atmender Klumpen, weiter nichts. Jetzt spielt sie, sie erkennt ihre Umgebung, sie hält alle Schwestern genau auseinander, sie hat sogar einen eigenen Willen und wird böse, wenn man ihn nicht erkennt. Dann schreit sie. Sehen Sie, sie weiß genau, daß Sie ein Fremder sind. Und sie mißtraut Ihnen, wie sie allen Fremden mißtraut.«
    Gerda hatte Theodora jetzt die Puppe gegeben. Das Kind hielt sie in den froschähnlichen Fingern und sah sie an. Dann warf es sich auf den Rücken, nahm die Puppe wie ein Affe mit den Beinen und wiegte sie hin und her, auf und ab. Dabei stieß es jauchzende Laute aus. Gerda kniete neben Tutti; ihr Gesicht war bleich und eingefallen. Sie hatte die Hände im Schoß gefaltet und sah dem spielenden Kind zu. Plötzlich richtete sich Tutti auf, saß mit untergeschlagenen Beinen und starrte auf Michael Pohland. Die schönen blauen Augen waren dunkel geworden, fast schwarz. Es nahm die Puppe an den beiden Armen, sah wieder mit einem unergründlichen Blick auf Pohland und zerriß dann mit einer unerklärbaren Gewaltanwendung die Puppe. Es geschah so schnell, daß niemand es verhindern konnte, auch Gerda kam zu spät. Als sie zugreifen wollte, hatte Tutti schon den abgerissenen Arm erhoben und warf ihn auf Pohland. Dabei schrie sie auf, grell, durchdringend. Eine Schwester stürzte ins Zimmer,

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