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Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Hanns Roesler
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ihn voll an.
    »Und wenn ich das Spiel nicht mitmache?«
    »Einfach weglaufen? Eine logische Frage! Aber ich bin nicht allein. Du wirst von dem Augenblick, wo du aus der Bank trittst, beobachtet. Wenn du einen einzigen falschen Schritt machst...« Er blickt auf seine Armbanduhr.
    »Vier Minuten vor acht! Höchste Zeit! Verschwinde!«
    »Aber...«
    »Verschwinde!«
    Zeit ist jetzt alles.
    Die Wachleute müssen jede Minute da sein.
    »Hier ist deine Handtasche, dein Schirm — los, vorwärts!«
    »Ich — ich weiß noch nicht einmal, wie Sie heißen!«
    »Das sage ich dir später.«
    »Nein. Jetzt!«
    »Peter.«
    Drei Minuten vor acht!
    »Gib mir einen Kuß, Peter! Ich weiß noch nicht einmal, wie du küßt! Vielleicht ist das der letzte Kuß vor meinem Tode!«
    »Du bist verrückt!«
    Nur noch zwei Minuten!
    Ehe er weiß, wie ihm geschieht, legt sie beide Arme um seinen Hals und küßt ihn. Sie läßt ihn nicht los und küßt ihn. Sie küßt ihn länger, als ihr zuträglich ist. Sie hat längst vergessen, warum sie ihn küßt. Als er sich losreißt und ihre Arme von seinem Hals löst, läßt sie willenlos alles mit sich geschehen.
    »Geh!« sagt er.
    Sie tut, was er sagt.
    Er schiebt sie durch die Tür, ruft ihr eindringlich nach: »Vergiß nicht, daß ich dir folge!«

    Der Film »In Küssen nichts Neues«, der bereits die vierte Woche läuft, beginnt Punkt acht Uhr. Die Lichter im Raum verlöschen. Ein Diapositiv erscheint. »Die Karten haben nur für die Vorstellung Gültigkeit, für die sie gelöst sind.« Dann blenden die Reklamen ein. Hausfrauen waschen Wäsche, Kinder trinken Kakaogetränke, Sportler tragen Unterwäsche: »Wir alle tragen Bullerhemdchen!« Frauen loben das Weiß ihrer Wäsche, Farmer sammeln in Säcken Kaffeebohnen, Männer kochen und kosten Schnellkaffee, eine Kuh weidet an saftigen Gräsern, ein Bär zeigt seine Bärenmarke, eine Mutter macht leckere Käseschnitten, blasse Jünglinge paffen Zigaretten und träumen dem Rauch der großen Welt nach, der sie noch nicht angehören und nie angehören werden, eine Weltkugel erscheint im Bild und blendet in die Wochenschau über, es ist genau 8 Uhr 09. Die Tür der Rangloge 1 wird geöffnet, und der Logenschließer läßt eine einzelne Besucherin ein. Er weist ihr mit der Taschenlampe den Stuhl, dann wird die Tür wieder geschlossen, die Loge liegt im Dunkeln, und auf der Leinwand zeigt man Veteranen der Landstraße, Automobile von gestern.
    Die Portiersloge am hinteren Ausgang der Bank ist für einen Augenblick leer. Der Portier ist in den Nebenraum gegangen und wäscht sich die Hände. Für ihn ist Dienstschluß, Feierabend. Er spürt den Wetterumschlag im rechten Bein, das ihm heute wieder recht zu schaffen macht.
    Auf der Straße ist soeben der graue Kombiwagen der Wach- und Schließgesellschaft vorgefahren. Fünf Männer steigen aus der Hintertür. Sie führen an kurzer Leine zwei Hunde mit sich, zwei schwarze Dobermänner. Sie tragen ihre Stechuhren um den Hals und gehen auf das Tor der Bank zu. Es sind fünf alte Männer. Wenn sie ihre Hunde nicht hätten und die Stechuhren und die Mützen mit der Aufschrift Wach- und Schließgesellschaft, könnte man sie für Bürger halten, die zu ihrer Skatrunde gehen. Sie sind untereinander per du, auch mit dem Portier Otto Hans, den sie seit Jahren kennen.
    »Etwas Besonderes, Otto?«
    Es ist eine Routinefrage.
    Sie erhalten keine Antwort, sie erwarten keine Antwort. Sie hängen ihre Mäntel in die kleine Loge, nehmen die Thermosflaschen aus den Taschen und die belegten, in Papier gewickelten Brote, legen sie auf den Fenstersims und beginnen ihren Rundgang.
    Der eine mit dem Hund geht in den Innenhof der Bank, der zweite steigt nach rechts die breite Treppe zu den Schalterräumen hinauf, der dritte, der wieder einen Hund hält, geht auf die schmale Treppe zu, die in den zweiten Stock zu den Verwaltungsräumen der Bank führt. Der vierte beginnt seinen Rundgang nach außen um die verschlossenen Tore und die heruntergelassenen eisernen Fenstergatter, die er rüttelnd prüft. Der letzte dieser fünf Männer bleibt vor der Loge des Portiers stehen.
    »Bald urlaubsfällig, Otto?«
    »In vierzehn Tagen.«
    »Wohin fährst du?«
    »Spanien.«
    Beide Männer sprechen ein unverfälschtes Sächsisch.
    »Ich war voriges Jahr dort.«
    »Wie war’s?«
    »Wie soll’s schon gewesen sein? Warm und teuer. Und viele Menschen.«
    »Und mit der Sprache?«
    »Die können da unten alle Deutsch.«
    »Und mit dem

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