Geliebter Boss
üblen Situation. Vielleicht hast du auch einen Kollegen in der Bank, der dir nicht wohl will, ein Mann, dem du einmal einen Korb gegeben hast — die Verdachtsgründe gegen dich verstärken sich immer mehr, das werden recht flotte Wochen, die auf dich zukommen. Noch dazu jetzt im Sommer, wo die Sonne scheint, wo andere Menschen baden gehen, Tennis spielen, flirten, segeln, im Boot fahren, und wo es nur an dir liegt, statt im Gefängnis am Meer zu sitzen, in einem großen Hotel zu wohnen, köstliche Dinge zu essen, schöne Kleider zu tragen...
»Nein!« sagt Birke noch einmal.
Sie ist fest entschlossen, nicht mit ihm zu fahren.
Aber was wird geschehen, wenn sie entdecken, daß das Geld fehlt? Sie müssen es entdecken. Morgen früh schon. Morgen früh erwartet ihre Mutter sie in Birkenhain. Wenn sie fährt, wird man sie daheim bei ihrer Mutter verhaften. Sie kann nicht nach Birkenhain fahren, unmöglich, sie sieht keinen Ausweg.
»Nun?« fragt der Rotbart.
»Nein«, sagt Birke zum drittenmal .
Er klappt die Aktenmappe mit dem Konto Peter Zanders zu. »Wohin?« fragt er.
»In das dritte Fach.«
Er legt die Mappe hinein, nimmt einen Lappen, wischt die Fingerabdrücke vom Telefon und vom Kugelschreiber ab.
»Du vergeudest deine Chance«, sagt er. »Wenn dich ein Mann einlädt, mit ihm in Urlaub zu fahren und dir an seiner Seite ein Leben in Luxus und Schönheit anbietet, fragt doch ein junges Mädchen auch sonst nicht, wo er das Geld dazu hergenommen hat. Das geht euch nichts an, pflegt ihr zu sagen. Das ist allein Sache des Mannes. Nun gut, ich habe mir allein das Geld von der Bank besorgt, ich allein habe die Unterschrift gefälscht, ich habe, nachdem ich das Geld in der Tasche hatte, dich eingeladen, mitzufahren. Du kannst dich unterwegs allen Freuden eines Urlaubs hingeben, als ob ich das Geld in der Lotterie gewonnen hätte — du bist aus allem heraus.«
»Warum wollen Sie unbedingt, daß ich mitkomme? Sie kennen mich doch gar nicht?«
Er lacht.
»Das ist genau der Grund, dich kennenzulernen.«
»An mir ist nichts Besonderes.«
»Das ist ja das Besondere. Du fällst nicht auf. Das ist in meinem Beruf von Vorteil.«
Birke wirft den Kopf zurück. Sie sagt wütend:
»So unscheinbar, wie Sie mich offenbar einschätzen...«
»Wenn man mit dir geht, ist es, als wenn man den Pelz nach innen trägt. Man besitzt einen Nerz, zeigt ihn aber nicht.«
»Sie haben Vergleiche!«
»Poesie!« sagt der Rotbart. »Jetzt kommt aber die Prosa. Es ist genau 7 Uhr 45. Wir müssen uns beeilen. Um acht kommen die Leute von der Wach- und Schließgesellschaft, bis dahin müssen wir weg sein. Ich möchte den Hunden nicht gern begegnen.«
Er verbessert sich:
»Ich meine nicht die Wachmänner, sondern die Hunde, die sie mit sich führen.«
Das ist es. Sie muß die Zeit überbrücken. Wenn es Birke gelingt, ihn so lange hier aufzuhalten, wird man das Geld bei ihm finden und ihr Glauben schenken. Ja, so muß es geschehen.
»Wenn ich mitführe?« sagte sie.
»Dann mußt du dich sofort entscheiden.«
»Welche Verpflichtungen hätte ich?«
»Die erste, von hier zu verschwinden.«
»Wie soll das geschehen?«
»Du verläßt das Haus und gehst unten am Portier vorbei...«
»Ist er tot oder lebt er?«
»Er lebt. Du sagst >Guten Abend!<, mehr sagst du nicht, und gehst vorbei.«
»Wenn er mich etwas fragt?«
»Antwortest du nicht und tust, als hättest du es nicht gehört.«
»Und wie kommen Sie heraus?“
»Auf die gleiche Art, wie ich hereingekommen bin.«
»Wenn ich es verhindere?«
»Warum dieser Rückfall? Du warst doch schon ganz vernünftig. Jetzt paß gut auf. Ich folge dir auf dem Fuß. Ich stehe hinter dir im Treppenhaus, keine zehn Schritte hinter dir — beim ersten Wort, das du mit dem Portier sprichst, schieße ich. Und das just am letzten Tag vor deinem Urlaub! Wenn ich du wäre, täte ich es nicht.«
Sie scheint nachzudenken. Sie will Zeit gewinnen. Sie sagt :
»Wenn ich nicht nach Ihren Befehlen handle?«
»Es sind nur Ratschläge. Mein zweiter Ratschlag: Wenn du durch das Tor gegangen bist, gehst du schnell die Straße nach rechts weiter, bis zur ersten Kreuzung, wo die Ampel ist. Dort überquerst du die Straße nach links. Drüben ist ein Kino. Man spielt >In Küssen nichts Neues<. Der Film läuft schon die vierte Woche. Das Kino ist schlecht besucht, und die Logen sind immer leer. Du kaufst dir eine Karte für die erste Loge und gehst hinein. Dort finde ich dich.«
Sie hebt ihren Kopf und blickt
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