Geliebter der Nacht
dass es Lexis war.
»Guten Morgen«, antwortete sie vergnügt.
»Wo, zum Teufel, hast du gesteckt?«, schimpfte Lexi. »Ich war krank vor Sorge um dich.«
Mai, die an die monatlichen Stimmungsschwankungen ihrer Freundin gewöhnt war, maß ihrem schroffen Ton keine Bedeutung bei. »Ich habe an meiner Story gearbeitet.«
»Geht es dir gut?«, fragte Lexi besorgt.
»Klar!«
»Mai, sagst du mir auch die Wahrheit?«
Mai seufzte. »Na gut, wenn du es unbedingt wissen willst, ich bin müde und habe das Gefühl, dass ich irgendetwas ausbrüte.«
»Du musst besser auf dich aufpassen.«
»Jaja, rein zufällig bin ich gerade unterwegs zum Arzt, einem Dr. Patrick.«
»Hör zu, ich habe etwas Wichtiges über die Hinterzimmer im ›Crypt‹ herausgefunden.«
Mai horchte auf. »Was?«, fragte sie neugierig.
»Dort arbeitet ein Sukkubus – ein echter, kraftsaugender Sukkubus.«
»Ernsthaft?«, fragte Mai, die es kaum glauben wollte. »Wow!«
Sie hörte, wie Lexi knurrte. »Mai, das Teil ist
gefährlich!
Es tötet Leute. Ich halte es für besser, wenn du dem ›Crypt‹ fernbleibst.«
»Keine Angst«, erwiderte Mai munter, »ein Sukkubus ist doch weiblich, oder? Und du weißt, dass ich nichts mit Frauen anfange.«
»Mai«, warnte Lexi sie, »ich will, dass du es mir versprichst!«
Aus Erfahrung wusste Mai, dass es sinnlos war, Lexi zu widersprechen, wenn sie einen solchen Ton anschlug. In ein paar Tagen, wenn der Vollmond vorbei war, würde sie sich wieder einkriegen. »Schon gut, Süße. Ich werde nichts mit dem Sukkubus anfangen. Bist du jetzt zufrieden?«
»Ja.« Sie konnte Lexis Erleichterung hören und fühlte sich mies, weil sie ihre Freundin belog. Und sie hoffte nur, Lexi würde sie verstehen.
»Hör zu, ich bin jetzt bei der Arztpraxis, also muss ich Schluss machen. Ich rufe dich heute Abend an, okay?« Sie beendete das Gespräch, ehe Lexi etwas sagen konnte, zahlte den Taxifahrer und stieg aus.
Das Gebäude sah nicht aus, wie sie es von einer Arztpraxis erwartet hätte. Andererseits konnte sie gar nicht genau sagen, wie sie sich eine Arztpraxis vorstellte. Dieser Arzt jedenfalls war ihr von jemandem im »Crypt« empfohlen worden, als sie erwähnt hatte, dass sie sich furchtbar ausgelaugt fühlte.
Die Waldnymphe hoffte inständig, dass der Doktor jung, umwerfend gutaussehend und Single war. Mit diesem Gedanken ging sie in das Gebäude und suchte die Praxis.
Es war nicht besonders viel los, dennoch verbrachte Mai gute dreißig Minuten im Wartezimmer und füllte Formulare aus. Sie enthielten haufenweise Fragen über die medizinische Vorgeschichte der Familie, von denen die meisten Mais Meinung nach reinste Zeitverschwendung waren. Statt sie zu beantworten schrieb sie einfach, sie wäre sehr früh verwaist. Als sie fertig war, führte man sie in ein Untersuchungszimmer, wo sie sich auszog und das hässliche Papierhemdchen überstreifte, das sich nie richtig schließen ließ. Dann setzte sie sich und wartete auf den Arzt.
Als der Doktor wenige Minuten später erschien, konnte Mai nicht umhin, enttäuscht zu sein. Nicht dass er hässlich war – sie hatte nur nicht erwartet, dass er so … klein wäre.
Obwohl sie lange geschlafen und hinterher mehrere Tassen Kaffee getrunken hatte, war Lexi müde und miserabler Laune, als sie ins Büro von Blackwell Bail Bonds kam. Nicht einmal ihr Telefonat mit Mai konnte sie aufmuntern, obwohl sie zumindest erleichtert war, dass ihre Freundin noch lebte.
»Morgen, Marge«, begrüßte sie die Sekretärin, während sie zu ihrem Eingangsfach ging und ihre Akten herausnahm. »Sieht mal wieder nach einem bunten Tag aus.«
Je mehr sie heute zu tun hatte, umso besser. Sie fasste immer noch nicht, was Darius ihr gestern Abend angetan hatte. Jedes Mal, wenn sie daran dachte, wollte sie sich zusammengerollt in der Ecke verstecken. Sollte der große böse Dämon doch die Weltherrschaft an sich reißen! Was interessierte sie das? Solange der Dämon das Sagen hatte, blühte ihr Geschäft. Bei dem, was sie momentan zu tun hatten, konnte sie genug Geld zusammensparen, um sich beizeiten zur Ruhe zu setzen.
Lexi arbeitete den ganzen Tag mit Feuereifer und brachte erfolgreich vier ihrer sechs Fälle wieder hinter Gitter. Allerdings waren sie keine abgebrühten Kriminellen, die sich der Justiz entzogen, sondern eher fehlgeleitete Gesetzesbrecher, die sofort einsahen, dass es blöd von ihnen gewesen war, nicht zu ihrem Gerichtstermin zu erscheinen.
Bis zum Nachmittag hatte Lexi
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