Geliebter Feind
Herrn. „Es endet hier nicht, oder?" fragte er leise.
„Nein", antwortete Guy, und noch niemals hatte diese eine Silbe unheilvoller und mörderischer geklungen. „Es beginnt hier erst."
Er wandte seinen Hengst seinen Mannen zu, riß sein Schwert aus der Scheide und hielt es mit ausgestrecktem Arm in die Hö-
he. Die Sonne blitzte auf der blanken Klinge. „Wir reiten auf Ashbury!" rief er.
Die Männer stießen einen wilden Kriegsschrei aus, und die Erde erzitterte unter den Hufen der Schlachtrösser, als die Kämpfer dem Earl of Sedgewick folgten.
So begann der Rachefeldzug.
In der großen Halle auf Ashbury Keep herrschte größte Betriebsamkeit.
Im Gegensatz dazu war es im Frauengemach still und friedlich. Unter dem Fenster saßen einige Mägde und drehten gesponnene Wolle zu langen Strängen zusammen, andere wickel-ten Spulen auf. Über dem fröhlichen Stimmengewirr der Mädchen lag das rhythmische Klappern des Webstuhls. Hier saß eine junge, schöne blonde Frau, lächelte, nickte und beteiligte sich gelegentlich an den Plaudereien der anderen.
An der Tür stand Kathryn of Ashbury und blickte besorgt zu ihrer Schwester hinüber. Wie würde Elizabeth die Nachricht aufnehmen? Würde sie in Tränen ausbrechen? Oder würde sie Verständnis vorgeben und dann in ihr Gemach flüchten, um dort still vor sich hinzuweinen? Das schlechte Gewissen plagte Kathryn jetzt bereits.
Elizabeth war glücklich hier. Im Frauengemach fühlte sie sich sicher und gut aufgehoben. Hier zeigte sie sich weder schüchtern noch ängstlich, und hier schienen die Erinnerungen sie nicht zu verfolgen.
In den vier Jahren seit dem Tod ihrer Eltern hatte Kathryn ihr Bestes getan, um ihre Schwester von allem Bösen abzuschir-men, und jetzt war Elizabeths kleine Welt friedlich und wohlge-ordnet. Doch die Neuigkeiten, die Kathryn ihr sogleich mittei-len würde...
Sie trat ins Frauengemach. „Laßt uns bitte allein", befahl sie den Mägden, woraufhin diese sofort eilfertig aufsprangen und hinausgingen. Nur Helga, die Älteste unter ihnen, hatte es damit nicht so eilig, sondern legte erst gemächlich ihren Spinnrok-ken aus der Hand und schichtete dann umständlich und sorgfältig die Wollstränge aufeinander.
Kathryn preßte ärgerlich die Lippen aufeinander. Sie wußte genau, daß die scheinbare Ordnungsliebe des Mädchens sie nur reizen sollte.
Die elternlose Helga war als Kammermagd auf die Burg genommen worden, hatte sich indessen wenig darum bemüht, den beiden Damen des Hauses zu dienen. Kathryn und Elizabeth mußten ihre Kleidung und ihre Gemächer selbst in Ordnung halten, und darüber hinaus hegte Kathryn den Verdacht, daß Helga mitgehörte Gespräche an Onkel Richard weitertrug. Als ob dieser nicht schon genug Gründe fand, um seine Nichte zu ohrfeigen oder sie die Peitsche kosten zu lassen!
Entlassen konnte Kathryn das Mädchen allerdings auch nicht, obwohl Richard ihr die Führung des Haushaltes übertragen hatte. Helga hinauszuwerfen, würde heißen, sich geschlagen zu geben, und diese Genugtuung mochte sie ihrem Onkel auf keinen Fall gönnen.
Zudem schien es, als nutzte Helga ihre weiblichen Attribute, um ihre Stellung zu verbessern. Offen erwiderte sie die bewun-dernden Blicke der Ritter und lachte, wenn sich gelegentlich ei-ne männliche Hand kühn unter ihre Röcke wagte. Vor kurzem hatte Helga sogar durchblicken lassen, daß sie Richards Bett teilte.
Dergleichen erschütterte Kathryn schon lange nicht mehr. Richards Gattin war vor vielen Jahren im Kindbett gestorben, und seitdem hatten zahllose Dienstmägde sein Bett gewärmt. Falls Helga nun die letzte bleiben sollte, würde ihre Unverschämtheit vermutlich keine Grenzen mehr kennen.
Unterdessen beschäftigte sich Helga weiter mit dem Ordnen der Wolldecken, und schließlich verlor Kathryn die Geduld.
„Spute dich, Mädchen!" befahl sie ungehalten. „Hier gibt es keine Ritter, denen du schöne Augen machen könntest. Ich will mit meiner Schwester reden."
Endlich zog sich Helga zurück, jedoch nicht ohne ihre Herrin noch mit einem triumphierenden Lächeln zu bedenken. Kathryn nahm das nicht zur Kenntnis. Sie schloß die Tür und bereitete sich auf die Unterredung mit ihrer Schwester vor.
Elizabeth hatte den Webrahmen zur Seite geschoben und blickte ihrer Schwester lächelnd entgegen. Ihr durchsichtiger Kopfschleier betonte ihr herrliches Haar eher, als daß er es ver-deckte. Die seidigen Strähnen fielen wie ein goldener Wasserfall aus gesponnenem Sonnenlicht
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