Geliebter Fremder
Hunter in diesen Tagebüchern aufgeschrieben?«
»Alles, was er für wichtige Geheimnisse, politische Intrigen und soziale Skandale hielt … das meiste davon Unsinn.«
»Hat er mich erwähnt?«, fragte sie zögernd. »Was hat er …« Sie schwieg, als sie an seinem Gesicht sah, dass Hunter nichts besonders Liebevolles über sie geschrieben hatte.
»Es war offenkundig, dass eure Ehe nicht gut war.«
»Ich langweilte ihn«, sagte Lara.
Hunter blickte sie aufmerksam an, als er die Niedergeschlagenheit in ihrer Stimme hörte. »Hunter wollte Lady Carlysle. Er hat dich geheiratet, weil du jung genug warst, um ihm Kinder zu schenken.«
Und sie hatte sich als unfruchtbar erwiesen. »Armer Hunter«, flüsterte sie.
»Armer, dummer Bastard«, stimmte er zu. »Er war zu beschränkt, um zu begreifen, was er hätte haben können. Ich habe deine Briefe gelesen und wusste, was für eine Frau du warst. Ich sah genau, was er weggeworfen hatte. Er hatte das Leben, das ich so gern geführt hätte, einfach aufgegeben … ein Leben, von dem ich glaubte, dass ich es verdiente.« Er schloss die Augen. »Ich nahm die Miniatur mit. Ständig habe ich daran gedacht, was du wohl gerade tun würdest… ob du gerade ein Bad nähmst … deine Haare bürsten würdest… deine Freunde im Ort besuchtest… alleine da säßest und lesen würdest… lachen würdest… weinen würdest. Ich war besessen von dir.«
»Hast du meinen Mann jemals kennen gelernt?«, fragte Lara.
Er schwieg eine Weile. »Nein.«
»Das ist eine Lüge«, erwiderte sie leise. »Sag mir, was wirklich passiert ist.«
Er starrte Lara an. Er konnte nichts vor ihr verbergen. Seine Seele war aufgebrochen und jedes Geheimnis wollte sich offenbaren. Er presste seine Stirn an die damastbespannte Wand.
»Es war März, Festzeit … Holi und Dhuleti nennen sie es. Das Fest der Farben. Überall gibt es Feuerwerk und die ganze Stadt ist auf den Beinen. Alle wussten, dass Hawksworth das größte Fest in ganz Kalkutta gab …« Fast abwesend sprach er weiter, so als habe er vergessen, dass Lara da war.
Er war mit der ausgelassenen Menge durch die Straßen vor Hawksworths Palast gezogen. Die Menschen lachten und schrien und warfen farbiges Pulver von den Dächern. Junge Frauen spritzten aus Bambusstäben parfümiertes Wasser und silberne oder goldene Farbe auf die Vorübergehenden, während junge Männer sich das Gesicht mit Make-up einrieben und Saris anzogen, um auf den Straßen zu tanzen.
Eine riesige Menschenmenge lief durch Hawksworths großen Palast, ein prächtiges Haus im klassischen Stil, das am grünen Ufer des Hugli-Flusses lag. Die englischen Gesichter sahen für ihn alle gleich aus, alle bunt bemalt, mit glasigen Augen von zu viel Alkohol, und die Münder vollgestopft mit Süßigkeiten oder getrockneten Früchten, die sie ständig aßen.
Mit klopfendem Herzen betrat auch er den Palast und ging unter den Gästen umher. Er trug einen Kapuzenumhang aus dunkelroter Baumwolle, ähnlich den farbenfrohen Gewändern, die die anderen angelegt hatten. Der Luxus des Hauses war atemberaubend, die Räume voller Kronleuchter, Gemälde von Tizian und venezianischem Glas.
Während er von Zimmer zu Zimmer ging, warfen sich ihm angetrunkene Frauen an den Hals, angesteckt von der orgiastischen Stimmung der Menge. Er schob sie achtlos beiseite, aber keine von ihnen schien die Zurückweisung übel zu nehmen; sie kicherten nur und machten sich auf die Suche nach einem anderen Mann.
Die einzigen nüchternen Gesichter in der Menge waren die der indischen Dienstboten, die unermüdlich Platten mit Essen und Getränken herbeischafften, die ihnen sogleich aus den Händen gerissen wurden. Er fragte einen der Diener, wo Hawksworth sei, erhielt aber als Antwort nur ein Schulterzucken und einen verständnislosen Blick. Als er den Palast weiter systematisch durchsuchte, kam er schließlich zu einem Raum, der wie eine Bibliothek wirkte.
Die Tür war halb offen und er warf einen Blick auf einen großen Bücherschrank aus Mahagoni, auf dem Marmorbüsten standen, und eine Bibliothekstreppe mit einem geschnitzten Handlauf.
Da er gedämpfte Stimmen vernahm, trat er näher. Er hörte leises Lachen, ein Keuchen, ein unterdrücktes Stöhnen … unmissverständliche Geräusche eines Paares, das sich liebt. Stirnrunzelnd zog er sich in den Schatten hinter der Tür zurück. Kurz darauf war alles still und eine dunkelhaarige Frau verließ das Zimmer. Ihr Gesicht war hübsch und gerötet und sie
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