Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geliebter Fremder

Geliebter Fremder

Titel: Geliebter Fremder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
Vom Netzwerk:
und steckte sie zu einem Knoten fest. Dann blickte sie prüfend in den Spiegel. Sie sah blass und verängstigt aus … aber es war nicht Hunter, vor dem sie Angst hatte, sondern sie selbst.
    Sie straffte ihre Schultern und gelobte sich schweigend, weder zu weinen noch zornig zu werden, ganz gleich, was zwischen ihnen zur Sprache kam. Sie würde ihre Würde um jeden Preis wahren.
    Sie trat zu einer Tür, die von zwei Wachen flankiert war, und bat leise um Erlaubnis, den Gefangenen zu besuchen.
    Zu ihrer Erleichterung waren die Wachen respektvoll und höflich. Einer bat sie, zu rufen, wenn sie Hilfe brauchte.
    Ihr Herz klopfte heftig, als sie durch die Tür trat, und ihre Wangen waren gerötet.
    Und da stand er.
    Er stand mitten in dem fensterlosen Raum und sah aus wie immer. Das Gästezimmer, in dem er festgehalten wurde, war klein, aber luxuriös. Die Wände waren mit oliv- und goldfarbenem Damast bespannt und die Decke in einem weichen Grau gestrichen. Gläserne Schiebetüren trennten den Empfangsbereich vom Schlafzimmer. Er wirkte vollkommen entspannt in dieser eleganten Umgebung, ein englischer Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle.
    Niemand hätte erraten können, wer er war oder wo er herkam. Er war wirklich ein Chamäleon.
    »Wie geht es dir?«, fragte er und sah sie an.
    Die Frage machte sie wütend. Wie konnte er sich um sie sorgen, nach allem, was er ihr angetan hatte? Aber ein Teil von ihr reagierte dennoch auf ihn. Am liebsten wäre sie zu ihm gegangen, hätte sich in seine Arme geworfen und ihren Kopf an seine Schulter gelegt.
    »Nicht gut«, sagte sie.
    Das Wohlgefühl und die Intimität zwischen ihnen waren noch vorhanden. Plötzlich war sie erfüllt von der Freude, bei ihm zu sein, und, was noch schlimmer war, sie fühlte sich auf einmal so vollständig, wie sie es nie zuvor erlebt hatte.
    »Wie hast du es herausgefunden?«, fragte er rau.
    »Ich habe mit Captain Tyler geredet.«
    Er nickte leicht, ohne jede Spur von Überraschung oder Zorn, und Lara wurde klar, dass er nie erwartet hatte, es würde andauern. Er hatte immer gewusst, dass seine Rolle als Lord Hawksworth zeitlich begrenzt war. Warum hatte er es dann getan? Warum hatte er sein Leben dafür riskiert, für ein paar Monate Lord Hawksworth zu sein?
    »Bitte«, sagte sie und hörte ihre eigene Stimme wie von weit her, »hilf mir zu verstehen, warum du mir das angetan hast.«
    Einen Moment lang schwieg er und blickte sie so konzentriert an wie ein Mann, der eine schwierige mathematische Aufgabe zu lösen hat. Dann wandte er sich halb ab und senkte den Blick.
    »Die Leute, bei denen ich aufgewachsen bin …«Er würde sie nie seine Eltern nennen. Sie hatten ihn höchstens versorgt, und auch das ziemlich nachlässig. »Sie haben kein Geheimnis daraus gemacht, wer ich wirklich war. Ich wuchs auf mit dem Gedanken an den Vater, der mich nicht gewollt hatte, und den Halbbruder, der wahrscheinlich gar nicht wusste, dass es mich gab. Als ich feststellte, dass Hawksworth nach Indien gekommen war und in Kalkutta ein Haus bezogen hatte, wollte ich mehr über ihn herausfinden. Eine Zeit lang beobachtete ich ihn aus der Ferne. Dann, eines Abends, schlüpfte ich ins Haus, während er weg war.«
    »Du hast seine Sachen durchsucht«, sagte Lara. Es war eher eine Feststellung als eine Frage und sie musste sich hinsetzen, weil ihre Beine sie nicht mehr trugen.
    Er blieb in der anderen Ecke des Zimmers stehen. »Ja.«
    »Und du hast die Miniatur von mir gefunden.«
    »Ja. Und die Briefe, die du ihm geschickt hast.«
    »Meine Briefe?« Lara versuchte sich zu erinnern, was sie an Hunter geschrieben hatte. Die meiste Zeit hatte sie ihre alltäglichen Aktivitäten beschrieben, Gespräche mit den Leuten im Ort und Neuigkeiten von der Familie und früheren Freunden. Nichts von Liebe oder Sehnsucht, nichts über ihre innersten Gefühle. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum Hunter die Briefe aufgehoben haben sollte. Sie waren so gewöhnlich.«
    »Sie waren reizend«, sagte er leise. »Ich habe sie in einer Schublade gefunden – er hat sie dort zusammen mit seinen Tagebüchern aufgehoben.«
    »Hunter hat niemals Tagebuch geführt«, erwiderte sie kalt.
    »Doch«, sagte er ruhig. »Da sie nummeriert und datiert waren, wusste ich, dass es in England noch mehr geben musste. Ich habe sie kurz nach meiner Ankunft gefunden und sie zerstört, nachdem ich mir die Informationen herausgeholt hatte, die ich brauchte.«
    Lara schüttelte verblüfft den Kopf. »Und was hat

Weitere Kostenlose Bücher