Geliebter Fremder
stimmen, aber allein die Vorstellung erfüllte sie mit Unbehagen. Sie kniete sich vor ihr schmales Bett und zog einen eingewickelten Gegenstand darunter hervor. Es war ein gerahmtes Porträt ihres verstorbenen Ehemannes.
Arthur und Janet hatten ihr das Gemälde in einem Anflug von Großzügigkeit angeboten, aber Lara wusste, dass sie in Wirklichkeit froh darüber waren, jede Erinnerung an den Mann loszuwerden, der den Titel vor ihnen innegehabt hatte. Sie hatte das Bild eigentlich auch nicht haben wollen, aber sie hatte es schließlich angenommen, um auf diese Weise anzuerkennen, dass Hunter ein Teil ihrer Vergangenheit war. Er hatte ihr Leben verändert. Vielleicht würde sie eines Tages, wenn die Zeit ihre Erinnerungen gemildert hatte, das Bild sogar aufhängen.
Das Porträt zeigte einen kräftigen Mann von starkem Knochenbau, umgeben von seinen Hunden, die große Hand wie zufällig auf den Lauf seines Lieblingsgewehrs gelegt. Hunter hatte gut ausgesehen, mit dichten goldbraunen Haaren, intensiven dunkelbraunen Augen und einem überheblichen Ausdruck im Gesicht.
Vor drei Jahren war Hunter in einem halb diplomatischen Auftrag nach Indien aufgebrochen. Als kleinerer Anteilseigner in der Ostindienkompanie und als Mann mit gewissem politischem Einfluss sollte er die Verwalter der Kompanie in Indien beraten.
In Wirklichkeit aber gehörte er zu den zahlreichen Nichtstuern, die nur zu begierig darauf waren, sich der Gesellschaft von reichen Müßiggängern in Kalkutta anzuschließen. Sie lebten dort wie die Könige und feierten zahllose Parties und Orgien. Es hieß, in jedem Haushalt arbeiteten zumindest hundert Dienstboten, die ihrem Herrn den kleinsten Wunsch von den Augen ablasen. Außerdem war Indien ein Paradies für Jäger; mit seiner Überfülle an exotischem Wild war es unwiderstehlich für einen Mann wie Hunter.
Lara lächelte traurig, als sie daran dachte, wie begeistert ihr Mann bei seiner Abreise gewesen war. Hunter war ganz begierig darauf gewesen, sie zu verlassen. England war ihm langweilig geworden und ihre Ehe ebenfalls. Es hatte keinen Zweifel mehr daran gegeben, dass er und Lara nicht zusammenpassten. Eine Ehefrau, hatte Hunter einmal zu ihr gesagt, war ein notwendiges Übel, sie erfüllte nur den Zweck, Kinder zu bekommen. Und als Lara nicht schwanger geworden war, war er zutiefst verletzt gewesen. Für einen Mann wie ihn, der so viel auf seine Stärke und Männlichkeit gegeben hatte, war ihre Kinderlosigkeit nur schwer zu ertragen gewesen.
Laras Blick fiel auf das Bett und ein kalter Knoten bildete sich in ihrem Magen, als sie an Hunters nächtliche Besuche dachte, wie sein schwerer Körper sie fast erdrückt hatte und wie schmerzhaft sein scheinbar endloses Eindringen für sie gewesen war. Es war ihr wie eine Erlösung vorgekommen, als er sich schließlich von ihrem Bett fern gehalten und andere Frauen aufgesucht hatte, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Lara hatte nie jemanden gekannt, der körperlich so stark und vital war. Fast war sie geneigt zu glauben, dass nur er allein jenen Schiffbruch überlebt haben könnte.
Hunter hatte seine Umgebung so sehr beherrscht, dass auch Lara sich dem in den Jahren ihres Zusammenlebens nicht hatte entziehen können. Sie war dankbar gewesen, als er nach Indien aufgebrochen war. Auf sich allein gestellt, hatte sich Lara um das örtliche Waisenhaus gekümmert und ihre Zeit und Aufmerksamkeit der Verbesserung der Lebensbedingungen der Kinder dort gewidmet. Das Gefühl, gebraucht zu werden, tat ihr so gut, dass Lara bald auch noch andere Projekte übernahm: Sie besuchte die Alten und Kranken, organisierte wohltätige Veranstaltungen, versuchte sich sogar ein bisschen darin, Paare zusammenzubringen. Als man ihr mitgeteilt hatte, Hunter sei tot, war sie zwar betrübt gewesen, aber sie hatte ihn nicht vermisst.
Und, dachte sie schuldbewusst, sie hatte ihn auch nicht zurückhaben wollen.
In den folgenden drei Tagen gab es keine Nachrichten von Mr. Young oder den Hawksworths. Lara tat ihr Bestes, um ihren alltäglichen Pflichten so wie immer nachzukommen, aber die Neuigkeiten waren schon durch den aufgeregten Klatsch der Dienstboten von Hawksworth Hall bis nach Market Hill gedrungen.
Ihre Schwester Rachel, Lady Lonsdale, kam als Erste zu Besuch. Die schwarz lackierte Kalesche hielt mitten auf der Auffahrt vor dem Schloss und Rachels schmale Gestalt stieg heraus. Unbegleitet ging sie den Pfad zum Cottage entlang. Rachel war Laras jüngere Schwester, aber sie
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