Geliebter Fremder
seinem Nest auf einem Hügel. Es war eine wolkenlose, kühle Nacht und Tyler freute sich an seinem gemütlichen Heim. Es war schon spät und seine attraktive Frau schlief friedlich im oberen Stockwerk. Sie war in den ersten Wochen schwanger und ihr Bauch wurde langsam runder.
Die Vorfreude auf sein erstes Kind hätte Tyler eigentlich mit Befriedigung erfüllen müssen. Und auch die Tatsache, dass er wieder in England war, etwas, das er seit acht Jahren angestrebt hatte, hätte ihm den lang erwarteten Frieden schenken müssen. Doch der wohlverdiente Friede und die Freude wollten sich nicht einstellen, da die Dinge einen höchst unerwarteten Verlauf genommen hatten.
»Verdammt«, murmelte Tyler und umfasste sein Brandyglas fester. »Warum bist du nicht in Indien geblieben?«
Und dann geschah etwas Erstaunliches … etwas, von dem er später zugeben musste, dass er es im Grunde erwartet hatte. Die Schatten im Zimmer schienen sich zu verändern und aus der Ecke tauchte eine dunkle Gestalt auf. Zu verblüfft, um zu reagieren, erkannte Tyler, wie der Earl of Hawksworth auf ihn zukam.
»Ich hatte andere Pläne«, erwiderte Hunter leise.
Tyler blieb äußerlich erstaunlich ruhig, während er versuchte, sich zu sammeln. Nur seine zitternden Hände, die das Glas hielten, verrieten seine Erregung. »Verdammter Bastard«, zischte er. »Nur du würdest es wagen, mich in meinem eigenen Haus heimzusuchen.«
»Ich wollte unter vier Augen mit dir sprechen.«
Tyler stürzte seinen Brandy in einem Zug hinunter. »Bis gestern Abend hielt ich dich für tot«, brummte er. »Was, zum Teufel, tust du hier in England?«
»Das geht dich nichts an. Ich bin nur gekommen, um dich zu warnen – misch dich nicht ein!«
»Du wagst es, mir Befehle zu geben?« Tyler lief purpurrot an. »Was ist mit Lady Hawksworth? Die arme Frau hat ein Recht darauf zu wissen …«
»Ich kümmere mich um sie«, erwiderte Hunter mit leise drohendem Unterton. »Und du wirst schweigen, Tyler … so oder so. Nach allem, was ich für dich getan habe, habe ich das verdient.«
Tyler schien einen Vorwurf hinunterzuschlucken, aber er kämpfte mit dem bitteren Gefühl der Verpflichtung.
Schließlich sackten seine Schultern herab. »Vielleicht«, murmelte er. »Ich muss darüber nachdenken. Um Himmels willen, geh jetzt. Du erinnerst mich an Dinge, die ich verzweifelt zu vergessen versuche.«
Kapitel 12
Zu Laras Verzweiflung traf der versprochene Bericht von den englischen Strafanstalten weder in der nächsten noch in der übernächsten Woche ein. Sie war fast dankbar dafür, das Haus neu einrichten zu müssen, was ihre Aufmerksamkeit völlig in Anspruch nahm, da Möglichkeiten-Smith und eine ganze Armee von Hndwerkern und Helfern ihr ständig zwischen den Füßen herumliefen. Sie besuchte zudem ihre Freunde In Market Hill und das Waisenhaus. Die meisten Stunden des Tages jedoch wurden von Johnny in Anspruch genommen und der Aufgabe, ihn an die neue Welt zu gewöhnen, in der er jetzt lebte.
Und natürlich war da auch noch Hunter.
Er regelte die Angelegenheiten der Familie, nahm pflichtbewusst an gesellschaftlichen Ereignissen teil und lauschte den Klagen seiner Pächter. Außerdem verfolgte er die unorthodoxe Strategie, die Familie mehr ins Geschäftsleben zu involvieren, und das zu einer Zeit, in der der Adel eigentlich nach dem Gegenteil strebte. Ein Mann hatte eine gesellschaftlich höhere Stellung, wenn er sich ganz von kaufmännischen Angelegenheiten zurückzog und sich nur noch dem aristokratischen Geschäft des Landbesitzes widmete. Hunter dagegen zeigte sich in bemerkenswerter Weise bereit, seinen Stolz zugunsten praktischer Erwägungen zu opfern.
Er war genau der Ehemann, den Lara sich einst gewünscht hatte: verantwortungsbewusst, höflich, liebevoll … freundlich. Und genau das verärgerte sie überraschenderweise. Hunter hatte auf eine äußerst verwirrende Art seine Taktik geändert und suchte jetzt offenbar nur noch ihre Freundschaft. Als Frau schien er sie kaum noch wahrzunehmen.
Es hatte eine Zeit gegeben, in der Lara diese Situation willkommen geheißen hätte. Sie genoss all die Vorteile, die ein Ehemann mit sich brachte – Sicherheit, Zuspruch, Zweisamkeit – ohne die körperlichen Ansprüche, die sie so sehr verabscheut hatte. Warum ärgerte sie sich dann dermaßen darüber? Warum wachte sie mitten in der Nacht auf, fühlte sich einsam und erregt und sehnte sich nach etwas, was sie nicht benennen konnte? Schließlich begann sie
Weitere Kostenlose Bücher