Geliebter Fremder
Bett und blickte sie an. Er war im Nachthemd, hatte bloße, schmutzige Füße und seine Haare waren völlig verstrubbelt.
Als ihr klar wurde, dass das Kind sie in Hunters Bett vorfand, blickte Lara neben sich und sah, dass ihr Ehemann gerade erwachte. Sie zog sich die Decke bis ans Kinn und wandte sich wieder zu Johnny. »Warum bist du schon so früh auf?«, fragte sie.
»Die Küken schlüpfen.«
Benommen erinnerte sie sich an das Nest von Hühnereiern, das sie in den letzten Tagen beobachtet hatten. »Woher weißt du das, Liebling?«
»Ich war gerade draußen, um nachzusehen.« Sein unschuldiger Blick glitt von ihr zu Hunter, der sich aufsetzte und sich durch die Haare fuhr, wobei ihm die Decke bis zur Taille rutschte.
»Guten Morgen«, sagte Hunter ruhig, als sei die Situation ganz alltäglich.
»Guten Morgen«, erwiderte Johnny fröhlich und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Lara zu. »Mama, warum bist du nicht in deinem Bett?«
Lara zuckte bei der Frage zusammen, beschloss dann aber, dass die einfachste Erklärung wohl die beste sei. »Weil Lord Hawksworth mich eingeladen hat, heute Nacht hier zu schlafen.«
»Wo ist dein Nachthemd?«
Ihre Wangen röteten sich und sie vermied es geflissentlich, Hunter anzusehen, als sie erwiderte: »Ich war so müde gestern Abend, dass ich wohl vergessen habe, es anzuziehen.«
»Dumme alte Mama«, sagte er, kichernd über ihre Vergesslichkeit.
Lara lächelte ihn an. »Geh und hol deinen Morgenmantel und deine Hausschuhe.«
Als das Kind verschwunden war, streckte Hunter die Hand nach Lara aus, aber sie entschlüpfte ihm und stand auf.
Um ihre Nacktheit zu bedecken, zog sie sich sein zerknittertes weißes Leinenhemd über, das auf dem Boden lag.
Sie hielt es vor der Brust zusammen und blickte zu ihrem Mann, der lang ausgestreckt im Bett lag. Ihre Blicke trafen sich und sie lächelten einander an.
»Wie geht es dir?«, fragte Hunter leise.
Lara schwieg und überlegte, wie sie das Gefühl benennen sollte, das sie vom Kopf bis zu den Zehen erfüllte. Es war eine seltsame, warme Freude, erfüllender als alles, was sie bisher je empfunden hatte. Am liebsten hätte sie ihn noch nicht einmal für eine Minute allein gelassen, diesen Tag und den nächsten und überhaupt jeden Tag mit ihm im Bett verbracht, bis sie alles über ihn wusste.
»Ich bin glücklich«, sagte sie, »so glücklich, dass ich Angst habe.«
Seine Augen waren dunkel und weich. »Warum denn Angst, Liebes?«
»Weil ich mir wünsche, dass es immer so bleibt.«
Hunter winkte sie zu sich, aber sie gab ihm nur einen raschen Kuss und sprang dann wieder außer Reichweite.
»Wohin gehst du?«, fragte er.
Lara blieb an der Tür stehen und lächelte ihn an. »Mich anziehen und dann natürlich nach den Küken sehen.«
Kapitel 15
Etwas musste mit den Kindern in den Gefängnissen geschehen, während das Waisenhaus ausgebaut wurde. Sie konnten unmöglich weiter unter den bisherigen Bedingungen leben. Lara vermochte den Gedanken nicht zu ertragen, dass nur eines von ihnen auch nur eine weitere Nacht an diesen schlimmen, gefährlichen Orten verbringen musste. Die einzige Lösung schien ihr, die Leute in Market Hill zu überreden, die Kinder aufzunehmen, bis das Waisenhaus fertig war. Leider traf ihre Idee nur auf zögerliche Reaktionen, die sie in Erstaunen versetzten. »Wie kann man nur so kaltherzig sein?«, beklagte sich Lara bei Hunter. Sie hatte den ganzen Morgen mit Antrittsbesuchen verbracht und ihre Bitte, die Kinder aufzunehmen, war überall auf höfliche Ablehnung gestoßen.
Sie trat in die Bibliothek, wo sie ihre Haube abnahm und auf einen Stuhl warf. »Ich habe doch nur Familien gebeten, ein oder zwei Kinder aufzunehmen, die genügend Mittel haben, um sich das leisten zu können – und es geht doch auch nur um ein paar Monate! Warum will nur niemand einen Finger rühren, um zu helfen? Ich war so sicher, dass ich auf Mrs. Hartcup oder die Wyndhams zählen könnte …« »Denk doch mal praktisch«, erwiderte Hunter sachlich. Er zog Lara auf seinen Schoß und knöpfte ihr die Pelerine auf. »Abgesehen von deinen karitativen Impulsen, meine Liebe, musst du bedenken, dass du sie ja nicht bittest, gewöhnliche Kinder aufzunehmen. Die guten Bürger von Market Hill betrachten Gefängniswaisen als potenzielle Verbrecher – und wer könnte es ihnen verübeln?«
Lara setzte sich kerzengerade hin und warf ihm einen missbilligenden Blick zu. »Wie kannst du so etwas sagen, wo Johnny doch solch ein Engel
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