Geliebter Fremder
Geplauder gefüllt gewesen war. Doch er wusste, dass er sie gemocht hatte und sie seine Vertraute gewesen war.
Er brauchte nun einen Freund, da er sonst keinen mehr hatte. Er beschloss, seine einstige Freundschaft mit seiner Frau wiederzubeleben, und mit diesem Vorsatz hob er die Hand und klopfte an ihre Tür.
Isabel holte tief Luft, als sie es leise klopfen hörte, und rief dann: »Herein!« Gray trat ein und zögerte auf der Türschwelle. Das war eine bedeutsame Geste, die sie vorher noch nie bei ihm erlebt hatte. Ein Lord Grayson wartete niemals. Kaum kam ihm etwas in den Sinn, schritt er auch schon zur Tat. Das hatte ihn oft in Schwierigkeiten gebracht.
Er sah sie an, lange und prüfend. Dieser Blick ließ sie bedauern, dass sie ihn in ihrem Morgenmantel empfangen hatte. Fast eine halbe Stunde hatte sie mit sich gerungen und dann entschieden, sich möglichst genau so zu benehmen wie früher. Je schneller sie zu ihrer einstigen Routine zurückkehrten, desto wohler würden sie sich fühlen.
»Ich schätze, der Tee ist wahrscheinlich schon kalt«, murmelte sie und wandte sich von ihrer goldverzierten Frisierkommode ab, um sich auf einen Sessel zu setzen. »Andererseits habe ja nur ich Tee getrunken.«
»Mir war Brandy lieber.«
Er schloss die Tür und ließ ihr damit kurz Zeit, dem Klang seiner Stimme nachzuhorchen. Es verwirrte sie, dass sie früher das leicht Heisere darin nicht wahrgenommen hatte.
»Brandy ist hier.« Sie wies zu dem niedrigen Tisch, auf dem schon ein Teegedeck, eine Karaffe mit Brandy und ein Kelchglas warteten.
Grays Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Du denkst immer an alles. Danke.« Er blickte sich um. »Es freut mich, dass auch dieser Raum unverändert ist. Wegen der weißen Satinbespannung an Wänden und Decke habe ich mich hier immer wie in einem Zelt gefühlt.«
»Genau das wollte ich damit erreichen«, sagte sie, lehnte sich zurück und zog ihre Beine unter ihr Gesäß.
»Wirklich?«
Er nahm ihr gegenüber Platz und legte seinen Arm über die Rückenlehne. Unwillkürlich musste Isabel daran denken, wie er immer seinen Arm um ihre Schultern gelegt hatte. Damals hatte sie sich nichts dabei gedacht. Damals war er ihr einfach überschwänglich vorgekommen.
Aber damals war er auch noch nicht so imposant gewesen.
»Warum denn ein Zelt, Pel?«
»Du hast keine Ahnung, wie lange ich darauf gewartet habe, dass du mir diese Frage stellst«, sagte sie leise lachend.
»Und warum habe ich sie dir nicht gestellt?«
»Weil wir über so etwas nicht geredet haben.«
»Nicht?« Er sah sie amüsiert an. »Worüber denn?«
Sie wollte ihm einen Brandy einschenken, aber er schüttelte den Kopf. »Nun, wir haben über dich geredet, Gray.«
»Über mich?« Er zog die Augenbrauen hoch. »Aber doch nicht die ganze Zeit?«
»Doch, fast.«
»Und wenn wir nicht über mich geredet haben?«
»Dann haben wir über deine Affären geredet.«
Gray verzog das Gesicht. Sie lachte und dachte daran, wie sehr sie diese Plaudereien mit ihm genossen hatte. Dann fiel ihr auf, dass er sie forschend ansah. Ihr Lachen verstummte.
»Wie unerträglich ich war, Isabel. Wie hast du es überhaupt mit mir ausgehalten?«
»Ich habe dich ziemlich gerngehabt«, antwortete sie aufrichtig. »Bei dir wusste man immer, woran man war. Du hast immer genau das gesagt, was du auch meintest.«
Er warf einen Blick über ihre Schulter. »Pelhams Porträt hängt ja immer noch da«, sagte er sinnierend, dann sah er sie wieder an. »Hast du ihn so sehr geliebt?«
Isabel drehte sich zu dem Bild hinter ihr um. Sie hatte wirklich versucht, einen Rest ihrer einstigen Liebe zu ihm auszugraben, doch alles wurde von bitterem Groll überlagert. Sie konnte nicht hindurchdringen. »Ja, das habe ich. Zwar kann ich mich jetzt nicht mehr daran erinnern, aber früher habe ich ihn wahnsinnig geliebt.«
»Gehst du deshalb keine Bindung mehr ein, Pel?«
Sie betrachtete ihn mit geschürzten Lippen. »Früher haben wir auch nicht über Persönliches gesprochen.«
Gray lehnte sich nach vorn und stützte die Unterarme auf die Knie. »Könnten wir nicht bessere Freunde werden als damals?«
»Ich weiß nicht, ob das klug wäre«, murmelte sie und warf einen Blick auf ihren Ehering.
»Wieso nicht?«
Isabel stand auf und ging zum Fenster, weil sie Abstand zwischen ihnen schaffen wollte. Er war ihr zu intensiv.
»Wieso denn nicht?«, wiederholte er und trat zu ihr. »Hast du andere, engere Freunde, mit denen du so etwas teilst?«
Er legte ihr
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