Geliebter Fremder
ausführlich mit den Männern, mit denen er an der Steinmauer gearbeitet hatte, und vertiefte seine Beziehung zu ihnen, weil er sich an die Namen ihrer Familienmitglieder und ihrer Nachbarn erinnerte. Er hob kleine Kinder in die Luft und brachte eine Gruppe junger Mädchen zum Kichern, als er ihre hübschen Haarbänder pries.
Die ganze Zeit genoss Isabel seinen Charme aus der Distanz und verliebte sich so heftig in ihn, dass es fast wehtat. Ihr Herz zog sich zusammen, und ein Felsbrocken legte sich auf ihre Brust. Die unschuldige Schwärmerei, die sie für Pelham empfunden hatte, war nichts, gar nichts, im Vergleich mit den reifen Gefühlen, die sie bei Grayson empfand.
»Sein Vater hatte dasselbe Charisma«, bemerkte die Marchioness neben ihr. »Meine anderen Söhne zeigen es nicht in demselben Maße, und ich fürchte, ihre Frauen werden diese Eigenschaft weiter verwässern. Eine Schande, dass Grayson, bei dem sie so ausgeprägt ist, sie nicht vererben wird.«
In ihrer Freude über diesen Tag tat Isabel achselzuckend den Ärger ab, den sie immer in der Gegenwart ihrer Schwiegermutter empfand. »Wer kann schon vorhersagen, welche Eigenschaften ein Kind haben wird, das noch nicht mal gezeugt ist?«
»Da Grayson mir eben noch im Haus versichert hat, er wolle kein Kind mit Ihnen, meine ich, mit Gewissheit behaupten zu können, dass er keine seiner Eigenschaften vererben wird.«
Isabel sah ihre Schwiegermutter von der Seite her an. Ihr einst hübsches Gesicht wurde von der Krempe ihres Huts abgeschirmt und zeigte nach außen hin nicht die geringste Spur der Hässlichkeit, die sich hinter der Fassade verbarg. Doch Isabel konnte nur die Verrottung sehen, die sich dahinter verbarg.
»Wovon reden Sie?«, fauchte sie und wandte sich ihrer Gegnerin direkt zu. Kaum verhüllten Spott konnte sie ertragen, reine Bosheit war hingegen einfach zu viel.
»Ich habe Grayson zu seiner Entscheidung beglückwünscht, sich, wie es sich gehört, um den Erhalt seines Titels zu kümmern.« Die Marchioness senkte das Haupt, sodass ihre Augen nicht mehr zu sehen waren. Wohl aber das hämische Lächeln, das um ihre dünnen Lippen spielte. »Doch er versicherte mir sofort, Emily sei die einzige Frau gewesen, die je die Mutter seines Kindes hätte sein sollen. Er liebte sie, und sie ist nicht zu ersetzen.«
Isabel drehte sich der Magen um, als ihr plötzlich einfiel, wie glücklich Gray über Ems Zustand gewesen war. Wenn sie zurückdachte, konnte sie sich an keine Gelegenheit seit Graysons Rückkehr erinnern, bei der er den Wunsch geäußert hatte, mit ihr Kinder zu bekommen. Selbst am Abend zuvor war er dem Thema eher ausgewichen und hatte behauptet, seine Brüder würden für Erben sorgen. »Sie lügen.«
»Wieso sollte ich bei etwas lügen, das so leicht widerlegt werden kann?«, fragte die Marchioness mit unschuldiger Miene. »Offen gestanden, Isabel, passen Sie nicht im Geringsten zusammen. Aber wenn Sie Ihren eigenen Kinderwunsch zurückstellen und mit dem Wissen leben können, dass Graysons Erbe von einer anderen Frau stammt, dann werden Sie vielleicht ein, wenn auch fragwürdiges, Glück finden.«
Isabel ballte die Fäuste und unterdrückte den Drang, wie eine wütende Katze zu fauchen und zu kratzen. Oder zu weinen. Das konnte sie nicht entscheiden, sie wusste nur, dass jede dieser Reaktionen der Marchioness einen Vorteil verschafft hätte. Also zwang sie sich, lächelnd die Achseln zu zucken. »Es wird mir ein großes Vergnügen sein zu beweisen, dass Sie sich irren.«
Sie entfernte sich und umrundete einen großen Baum. Dort, geschützt vor neugierigen Blicken, ließ sie sich an den rauen Stamm sinken, ohne sich darum zu scheren, dass ihr Kleid schmutzig oder beschädigt werden würde. Zitternd verschränkte sie die Hände und holte tief Luft. Sie durfte sich nur vollkommen gefasst zeigen.
Obwohl alles in ihr schrie, sie müsste Vertrauen haben und daran glauben, dass sie Grayson genügte, dass sie ihm am Herzen lag und er sie glücklich machen wollte, gab es doch eine Stimme, die sie daran erinnerte, dass sie Pelham eben nicht genügt hatte.
»Isabel?«
Als Grayson unter das Blätterdach trat, entdeckte sie, dass er sie besorgt ansah. »Ja, Mylord?«
»Geht es dir gut?«, fragte er und näherte sich ihr. »Du siehst blass aus.«
Sie wedelte abschätzig mit der Hand. »Deine Mutter versucht wieder, mich zu provozieren. Es ist nichts. Gleich habe ich meine Fassung wiedergewonnen.«
Das warnende Grollen in seiner Kehle
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