Geliebter Fremder
spüre eine Kluft zwischen uns, die vorher nicht da war. Das ertrage ich nicht.«
Er drehte sie zu sich um. »Sag mir ehrlich: Begehrt Grayson dich?«
»Ich weiß es nicht.«
Verärgert stieß John die Luft aus, die er angehalten hatte. »Wieso zum Teufel weißt du das nicht, Isabel? Von allen Frauen solltest du doch am besten wissen, ob ein Mann mit dir ins Bett will oder nicht.«
»Du hast ihn ja nicht gesehen. Er trägt seltsame Kleider: aus grobem Stoff und übertrieben schlicht. Wo immer er auch war, Gesellschaft hat er jedenfalls nicht gesucht. Ja, er zeigt Begehren, John. So viel erkenne ich. Aber gilt sein Begehren wirklich mir? Oder nur irgendeiner Frau? Das eben weiß ich nicht.«
»Dann müssen wir deinem Mann eine Geliebte besorgen«, sagte John grimmig. »Damit er meine in Ruhe lässt.«
Sie lachte matt. »Das ist eine sehr merkwürdige Unterhaltung.«
»Ich weiß.« Hargreaves grinste und legte seine Hand auf ihre Wange. »Sollen wir uns also zusammensetzen und ein Dinner planen? Wir könnten eine Liste von allen Frauen machen, die Gray gefallen könnten, und sie einladen.«
»Ach, John.« Zum ersten Mal seit Grays Rückkehr brachte Isabel ein echtes Lächeln zustande. »Das ist eine sehr gute Idee. Warum bin ich nicht schon selbst darauf gekommen?«
»Weil du dafür doch mich hast.«
Gerard las bei einem Kaffee die Morgenzeitung und versuchte, seine Unruhe zu ignorieren. Heute würde er sich zeigen; die Gesellschaft würde sehen, dass er zurückgekehrt war. In den nächsten Tagen würden alte Bekannte vorsprechen, und er hätte zu entscheiden, welche Freundschaften er wieder aufleben und welche er ruhen lassen würde.
»Guten Morgen, Mylord.«
Kaum hörte er Isabels Stimme, blickte er auf und holte scharf Luft, als er sich erhob. Sie trug Hellblau, ein ausgeschnittenes Mieder, das ihren üppigen Busen zeigte, und einen hoch angesetzten Rock mit dunkelblauer Litze. Sie sah ihn erst an, als er ihren Gruß erwiderte. Dann schaute sie ihm in die Augen und brachte ein Lächeln zustande.
Ganz offensichtlich war sie nervös – ein völlig neuer Anblick für ihn, hatte er sie doch bis jetzt immer äußerst selbstbewusst wahrgenommen. Sie starrte ihn einen Moment lang an. Dann hob sie ihr Kinn und trat zu ihm. Sie zog den Stuhl neben seinem heraus, bevor er sich rühren konnte. Er fluchte im Stillen. Zwar hatte er die letzten vier Jahre nicht wie ein Mönch gelebt, aber seine letzte Liaison lag schon länger zurück. Zu lang.
»Gray«, setzte sie an.
»Ja?«, fragte er, als sie zögerte.
Da brach es aus ihr hervor: »Du brauchst eine Geliebte.«
Er blinzelte, ließ sich auf seinen Stuhl sinken und hielt die Luft an, um nicht ihren Duft zu riechen. Ein Hauch ihres Parfüms und er würde steif werden, ohne jeden Zweifel. »Eine Geliebte?«
Sie nickte und biss sich auf ihre volle Unterlippe. »Es wird dir sicher nicht schwerfallen, eine zu finden.«
»Nein«, sagte er langsam. Guter Gott! »Mit den passenden Kleidern und einer Wiedereinführung in die Gesellschaft könnte ich das bestimmt schaffen.« Er erhob sich wieder. Darüber konnte er nicht mit ihr sprechen. »Also, sollen wir los?«
»Du hast es aber eilig!« Sie lachte, und als er das hörte, biss er die Zähne zusammen. Ihre hölzerne Vorsicht von vorhin war gewichen, jetzt war sie wieder die alte Pel – die von ihm erwartete, sich eine Geliebte zu suchen und sie in Ruhe zu lassen.
»Du hast doch oben schon gegessen, oder?« Er wich einen Schritt zurück und atmete durch den Mund. Wie zum Teufel sollte er diesen Nachmittag überstehen? Die nächste Woche, den nächsten Monat oder – verdammt noch mal – die Jahre, die sie oft in ihre Affären investierte?
»Ja.« Sie stand auf. »Dann lass uns aufbrechen. Es liegt mir fern, die Entdeckung deiner nächsten Mätresse zu verzögern.«
Gerard folgte ihr in sicherem Abstand, aber es tat seiner wachsenden Erregung leider keinen Abbruch, dass er nun eine ausgezeichnete Sicht auf Isabels sanft schwingende Hüften und ihr üppiges Hinterteil hatte.
Die Fahrt im Landauer war ein wenig besser, da ihr Blumenduft wegen des offenen Verdecks verflog. Und noch besser war der Spaziergang über die Bond Street, da er nicht an seinen eigensinnigen Schwanz denken konnte, wenn alle Welt ihn mit offenem Mund anstarrte. Pel schritt plaudernd neben ihm her, während ein großer Sonnenhut ihr schönes Gesicht abschirmte.
»Das ist doch lächerlich«, murmelte er. »Man könnte meinen, ich wäre von
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