Geliebter Fremder
verständlich, aber die Art und Weise, wie sie das durchzusetzen hoffte, konnte Isabel nicht gutheißen.
»Bevor ich sterbe, will ich Sie von ihm getrennt sehen.«
»Viel Glück«, murmelte Isabel.
»Wie war das?« Die Marchioness richtete sich auf.
»Seit Graysons Rückkehr habe ich schon mehrfach mit ihm über Trennung gesprochen. Er weigert sich.«
»Sie wollen nicht mit ihm verheiratet sein?« Die Verblüffung der Marchioness hätte Isabel amüsiert, wäre sie nicht so bedrückt gewesen wegen des Verhaltens, das Gray seit dem Nachmittag an den Tag legte … Sie einfach so zu ignorieren … Einem Mann vertraut zu haben, der sie angelogen hatte …
Das schmerzte, und sie hatte sich geschworen, sich nie wieder von einem Mann verletzen zu lassen.
»Nein, das will ich nicht.« Sie hob ihr Kinn. »Die Gründe für unsere Eheschließung kommen mir jetzt dumm und fehlgeleitet vor. Ich bin überzeugt, das waren sie von Anfang an, nur wir waren zu starrsinnig, um dies zur Kenntnis zu nehmen.«
»Isabel.« Die Marchioness schürzte die Lippen und spielte mit nachdenklichem Blick an ihrem schweren Saphircollier. »Ist das Ihr Ernst?«
»Ja.«
»Grayson behauptet, ein Scheidungsgesuch würde scheitern. Jedenfalls wird der Skandal schrecklich für alle sein.«
Isabel zupfte einen ihrer langen Handschuhe ab und berührte eine nahe stehende Rose. Also hatte Gray über eine Beendigung ihrer Ehe nachgedacht. Sie hätte es wissen müssen.
Unglücklicherweise war sie eine Frau, die die Gesellschaft anderer genoss. In Gesellschaft blühte sie geradezu auf. Sonst hätte sie vielleicht nicht ein so starkes Bedürfnis verspürt, berührt und umsorgt zu werden, und würde auch nicht in dieser Lage stecken. Viele Frauen blieben enthaltsam. Das konnte sie nicht.
Sie seufzte. Die gesellschaftliche Ächtung wegen eines Scheidungsgesuchs würde furchtbar werden, aber wäre eine Ehe mit Grayson nicht noch furchtbarer? Ihre letzte Ehe hatte sie fast zugrunde gerichtet, und ihre Gefühle zu dem Mann, der Gray geworden war, waren fast so stark wie ihre einstigen Gefühle für Pelham.
»Was wollen Sie?«, fragte sie bitter. »Dass ich mich bereit erklären soll, als Ehebrecherin geschieden zu werden? Das bin ich nicht.«
»Aber Sie sind fest entschlossen, das sehe ich Ihnen an. Und ich werde Ihnen helfen.«
Isabel wandte sich zu ihr. »Waswerden Sie?«
»Sie haben schon verstanden.« Ein schwaches Lächeln milderte den scharfen Zug um den Mund der Marchioness. »Ich weiß noch nicht, wie. Ich weiß nur, dass ich Ihnen helfe, so weit es in meiner Macht liegt. Vielleicht sorge ich sogar dafür, dass Sie gut versorgt sind.«
Plötzlich war Isabel alles zu viel. »Entschuldigen Sie mich.« Sie musste Rhys finden und ihn bitten, sie nach Hause zu bringen. Die Faulkners setzten ihr von allen Seiten zu, und ihr wäre jetzt nichts lieber gewesen als ihr eigenes Zimmer und eine Karaffe mit Madeira.
»Ich setze mich mit Ihnen in Verbindung«, rief die Marchioness ihr nach.
»Sehr schön«, murmelte Isabel und beschleunigte ihren Schritt. »Ich kann’s kaum erwarten.«
Gerard war wegen seiner ergebnislosen Suche nach Spencer so frustriert, dass er gerne jemandem Gewalt angetan hätte, da bog er um eine Ecke und blieb abrupt stehen, weil ihm eine Frau den Weg versperrte, die rückwärts aus einem dunklen Zimmer kam.
Sie wandte sich um und erschrak. »Himmel«, rief Lady Stanhope aus und presste sich die Hand ans Herz. »Du hast mich zu Tode erschreckt, Grayson.«
Er musterte sie mit hochgezogener Augenbraue. Leicht derangiert und errötet kam sie eindeutig von einem Stelldichein. Als die Tür erneut aufging und Spencer mit zerknitterter Halsbinde heraustrat, zog Gerard auch die zweite Augenbraue hoch. »Ich suche dich seit Stunden.«
»Ach ja?«
Sein Bruder war eindeutig viel entspannter als noch Stunden zuvor. Gerard überraschte das nicht, kannte er doch Barbaras Wollust aus eigener Erfahrung. Er lächelte. Besser hätte es gar nicht kommen können.
»Ich möchte mit dir reden.«
Spencer zog sich die Weste straff und warf einen Blick auf Barbara, die gewartet hatte. »Morgen vielleicht?«
Gerard musterte ihn eingehend und fragte: »Was hast du für heute Abend geplant?« Er würde nicht abwarten, ob sein Bruder immer noch auf Ärger aus war.
Ein weiterer bedeutungsschwangerer Blick zu Barbara ließ Gerards Sorge verschwinden. Wenn Spencer mit Barbara beschäftigt war, konnte er keine Probleme verursachen. »Dann also
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