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Geliebter Lord

Geliebter Lord

Titel: Geliebter Lord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
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Mann, der eine ungeheure Autorität ausstrahlte.
    »Bleib ein paar Wochen bei mir, Mary.«
    Der Gedanke war verführerisch. Sie könnte Hamish kennenlernen, mehr über den Mann erfahren, der sie derart fesselte. Seinen Körper kannte sie bereits – würde sein Geist sie ebenso faszinieren?
    Wie konnte sie so töricht sein, die Möglichkeit auch nur zu erwägen?
    »Das kann ich nicht«, antwortete sie mit aufrichtigem Bedauern. »Charles würde sich um mich sorgen, und ich habe Freunde, die mich vermissen würden.«
    »Dann sende ihnen doch eine Nachricht. Erkläre ihnen, dass du in ein paar Wochen wiederkommst. Bleib bei mir.«
    Bleib bei mir.
Drei kleine Worte mit großer Wirkung. Mary wollte mit jeder Faser ihres Seins zusagen. Schließlich würde niemand ahnen, dass sie sich eine Atempause von ihrer Verantwortung und ihrer offiziellen Rolle genehmigte, um für eine Weile ein anderer Mensch zu sein.
    Ihre Abwesenheit wäre leicht zu erklären. Sie behandelte einen Patienten außerhalb der Stadt, jemand so Bedeutenden, dass diese Reise und der Zeitaufwand gerechtfertig waren. Niemand würde schlecht von ihr denken. Sie hatte in Inverness schon oft genug die ganze Nacht am Bett eines Kranken zugebracht, wenn sein Zustand kritisch war. Das Geld in der Kassette für die Haushaltsausgaben würde für längere Zeit genügen. Und was die Buchhaltung betraf, so hatte Charles sich bis zu ihrer Hochzeit mit Gordon darum gekümmert.
    Es gab nur zwei Menschen, die vielleicht die Wahrheit vermuten würden. Charles, weil er von Natur aus misstrauisch war, was sie anging, und Elspeth, weil sie eine romantische Seele war.
    »Das kann ich nicht«, wiederholte sie, doch diesmal klang es nicht mehr so entschieden, sondern eher, als bitte sie Hamish insgeheim, sie vom Gegenteil zu überzeugen.
    Er ging zu seiner Truhe, holte ein Reiseschreibpult heraus und brachte es ihr. Sie nahm es mit beiden Händen und stellte es neben sich aufs Bett. Es enthielt einen Stapel Pergament und in Aussparungen Federkiele, ein Tintenfass und eine Stange Siegelwachs.
    »Schreib ihnen, Mary. Erkläre ihnen, dass du in ein paar Wochen zurückkommst. Dass dein Patient deiner Fürsorge bedarf.«
    »Tust du das?«
    Anstatt darauf zu antworten, sagte er noch einmal: »Bleib bei mir.«
    Gütiger Gott, die Versuchung war groß.
    »Was erwartet dich denn in Inverness?«
    »Mr. Marshall«, erinnerte sie sich in diesem Moment an die Verabredung, die ihr so wichtig gewesen war, bis sie Hamish MacRae kennenlernte.
    »Ist die Aussicht darauf, ihn zu treffen, verführerischer als die, hier bei mir zu bleiben?«
    Keine einfache Frage. »Mich mit ihm zu treffen kann meiner Reputation förderlich sein – bei dir zu bleiben kann sie nur mindern.«
    Er nickte. »Da hast du natürlich recht.«
    »Er ist ein betagter Mann – es könnte sein letzter Besuch in Inverness sein.«
    »Wenn du das sagst.«
    »Ihm zu begegnen wäre eine große Ehre für mich.«
    »Davon bin ich überzeugt.«
    Er ging zum Fenster und wandte ihr wieder den Rücken zu.
    »Wenn ich bleibe«, hörte sie sich zu ihrem Erschrecken sagen, »versprichst du dann, dass du all meinen Behandlungsmethoden zustimmst?«
    »Habe ich das nicht bereits getan?«
    Er drehte sich um, und sie sah das vertraute Halblächeln in seinem Mundwinkel hängen, doch der Blick war durchbohrend, als wollte er bis auf den Grund ihrer Seele vordringen.
    »Welche Behandlungsmethoden hast du denn im Sinn, Mary?«
    »Ich will, dass du deinen Arm trainierst«, antwortete sie, »und an die frische Luft gehst.«
    Sie durfte nicht bleiben. Kranke wendeten sich nicht nur wegen ihres gutes Rufs als Heilerin an sie, sondern weil sie in Inverness
allgemein
einen guten Ruf genoss. Mütter sahen in ihr eine geeignete Anstandsdame für ihre minderjährigen Töchter, während die Armen, die sie unentgeltlich behandelte, sie als freundliche und großzügige Wohltäterin betrachteten. Vor allem aber hielt man sie für eine anständige Frau.
    Keine der Matronen in der Stadt, die sie vor allem nach Gordons Tod während der Trauerzeit mit Argusaugen beobachtet hatten, hatte etwas an ihr auszusetzen gefunden. Manchmal hatte Mary in der Gesellschaft der Frauen das Gefühl, dass sie für eine spätere Rolle übte und eines Tages vielleicht ebenso wachsam nach etwaigen Übertretungen der Anstandsregeln Ausschau halten würde, Gelächter und Geschäker mit Stirnrunzeln quittieren und nur billigend nicken, wenn eine Frau züchtig den Blick gesenkt

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