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Geliebter Lord

Geliebter Lord

Titel: Geliebter Lord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Ranney
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nüchtern.
    Als er wieder aus dem Fenster schaute, sah er die Pferde den leeren Lastkarren am Ende der Brücke aufs Festland ziehen.
    »Sie haben alle Lebensmittel dagelassen«, sagte Mary. »Wir werden nicht verhungern.«
    »Wenn du irgendwann das Dörrfleich und den Räucherfisch müde bist, gehe ich jagen«, bot er an, ohne sich umzudrehen.
    »Bist du ein guter Jäger?«
    »Alle MacRaes sind gute Jäger«, erwiderte er leichthin.
    Mary staunte über sich. Sachlich betrachtet war Hamish ein Fremder für sie, und doch hatte sie das Gefühl, ihn schon ihr Leben lang zu kennen.
    Sie trat neben ihn und fuhr mit der linken Hand langsam von seinem rechten Handgelenk bis zur Schulter hinauf. Hamish warf ihr ein Lächeln zu, und sie erwiderte es.
    »Brendan machte einen verstimmten Eindruck, als ich ihn vorhin sah«, sagte sie. »Er billigt nicht, dass ich bei dir bleibe, nicht wahr?«
    Hamish schüttelte den Kopf.
    »Dann sind wir beide dem Untergang geweiht.«
    »Kümmert dich, was die Leute von dir halten, Mary?«
    »Ich sollte es verneinen. Dann wäre ich ein wahrhaft unabhängiger Mensch. Wie du. Aber ich muss gestehen, dass ich das nicht kann. Macht mich das in deinen Augen zu einer Närrin?«
    Er drehte sich ihr zu. Sie ließ ihre Hand sinken, umfasste sie mit der anderen und stellte sich seiner Musterung.
    »Kümmert dich, was
ich
von dir halte, Mary?«
    »Ja«, antwortete sie leise.
    Er wurde ernst. »Das sollte es nicht. Selbst wenn ich einen Anlass sähe – es stünde mir gar nicht zu, dich zu verurteilen. Es liegen Sünden über Sünden auf meiner Seele.«
    »Wirklich?« Sie legte die Hand an seine Wange, spürte die Narben unter ihren Fingern. Wie konnte ein derart gezeichneter Mann derart anziehend sein? Er hatte etwas an sich, was stärker wirkte als die Verunstaltungen. »Dann haben wir etwas gemeinsam. Auch ich habe Sünden auf mich geladen, deren nicht geringste ist, dass ich hier bei dir bleibe.«
    Sein Lächeln war wieder da, und diesmal erreichte es sogar seine Augen.
    »Du bist der Engel von Inverness. Was für schwere Sünden kannst du schon vorzuweisen haben?«
    »Ich habe früher ständig Fragen gestellt.« Sie ließ ihre Hand sinken und legte sie an seine Brust. Die stetigen, kraftvollen Schläge seines Herzens hatten etwas ungemein Beruhigendes. »Als ich merkte, dass meine Fragerei den Leuten lästig war, fragte ich mich, warum Gott mir einen Verstand gegeben hatte, der mich dazu trieb.«
    »Und wie hast du das Problem gelöst?«
    »Ich habe gelernt, mich in Zurückhaltung zu üben.« Mary spielte mit den Knöpfen seines Hemdes. Sie sahen aus wie aus Knochen geschnitzt, vielleicht auch aus Elfenbein.
    »Mich darfst du alles fragen. Jederzeit.«
    Als sie zu ihm aufschaute, sah sie, dass seine Miene wieder ernst geworden war. Fast feierlich. Wie anlässlich eines Versprechens.
    Wie oft hatte sie über das reden wollen, was ihr durch den Kopf ging, und niemanden dafür gehabt! Anfangs hatte Gordon sich ihre Gedanken angehört, aber schon bald hatte sie erkannt, dass er sie nicht für voll nahm. Bei all seiner Zuneigung würde er sie auf ewig wie ein spielendes Kätzchen oder einen übermütigen Welpen behandeln. Nicht einmal mit Elspeth konnte sie derlei bereden. Obwohl sie befreundet waren, sah die junge Frau ein Vorbild in ihr. Wie hätte sie Elspeth da lehren können, alles anzuzweifeln, was die Gesellschaft sie zu glauben gelehrt hatte? Warum sollte sie eine Rebellion anzetteln, wenn keine Notwendigkeit dafür bestand?
    Mary stellte Hamish gleich auf die Probe, indem sie fragte: »Warum behandeln Männer Frauen, als müssten sie verhätschelt werden, obwohl das Leben außerhalb des Salons alles andere als sanft mit ihnen umspringt? Ich habe erwachsene, ›starke‹ Männer angesichts ihrer gebärenden Ehefrau erbleichen sehen.«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete er, »aber die Frage ist eine Überlegung wert.«
    Er fuhr mit dem Finger an ihrem Kinn entlang, zeichnete ihre Unterlippe nach.
    »Warum werden Frauen eher als Sünderinnen betrachtet denn als Opfer von Sündern?«, fuhr sie fort. »Warum leiden arme Frauen und Kinder größere Not als Männer in der gleichen Lage?«
    »Weil sie sich nicht wehren können«, sagte Hamish, »und niemanden haben, der sich für sie einsetzt.«
    Seine prompte Antwort überraschte sie.
    »Erzählst du mir von den Orten, die du gesehen hast?«, fragte sie. »Auch von denen, die nicht als anständig gelten?«
    »Warum nicht? Wir benehmen uns ja auch nicht

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