Geliebter Lord
konnte Elspeth ihre Freundin gut verstehen.
Jeden Tag wachte sie mit der bangen Frage auf, ob dies wohl ihr letzter Tag mit Brendan sein würde. Jeden Tag, wenn er auf ihrer Schwelle erschien, spürte sie ihren ganzen Körper vor Erleichterung aufatmen. Jeden Morgen graute ihr davor, ihn sagen zu hören, dass er aufbrechen würde. Nicht sofort, aber bald.
Was würde sie dann tun? Wie sollte sie das ertragen?
»Bitte lass ihn nicht fortgehen!«, bat sie den Mond. Er schwieg ebenso wie die Welt um sie herum.
Seufzend stand sie auf und ging wieder ins Bett. Sie wusste, im Schlaf würde sie von Brendan träumen.
Kapitel 16
M ary war in ihr Zimmer hinuntergegangen, um den Arztkoffer zu holen, und würde gleich zurückkommen. Hamish fixierte die offene Tür, um hören zu können, wann sie die Treppe betrat. Er erwartete sie dann immer am Kopf der Stufen und sprach mit ihr, um sie von ihrer Höhenangst abzulenken. Es nötigte ihm Bewunderung ab, dass sie bei aller Angst nicht zögerte, zu ihm ins oberste Geschoss heraufzusteigen.
Inzwischen lebten sie nun schon mehr als drei Wochen miteinander in ihrem von der Welt abgeschirmten Universum. Die einzigen Stimmen, die sie hörten, waren ihre eigenen, die einzigen Wünsche, nach denen sie sich richteten, die ihren. Hamish lernte Mary mit jedem Tag besser kennen. Unter anderem hatte er bemerkt, dass sie, wenn sie seinen Arm massierte, mit der Fußspitze auf den Boden tippte wie zu einer unhörbaren Melodie. Manchmal überraschte sie ihn mit einer schlagfertigen Erwiderung oder den Kenntnissen über die Welt, die sie besaß, obwohl sie nie aus Inverness herausgekommen war.
Eines Morgens erkannte er, dass sie ihn verzaubert hatte, und er lächelte in sich hinein. Er vermutete, dass Männer die Hexen erfunden hatten, um ihre Schwäche im Umgang mit Frauen zu entschuldigen.
Mary brachte ein Gefühl von Normalität in sein Leben, etwas, was schon sehr lange darin gefehlt hatte. Eines Tages, als sie durch den Burghof gingen, hatte sie ihn über die Schulter angesehen. Er wusste nicht mehr, was sie gesagt oder warum sie gelacht hatte, aber ihren Anblick würde er nicht vergessen, solange er lebte. Die Sonne leuchtete sie von hinten an und schmückte ihr dunkles Haar mit einem goldenen Kranz aus Licht, verlieh ihr etwas Unwirkliches.
Hamish wurde bewusst, dass es ihn mit Stolz erfüllen würde, sie seinen Brüdern vorzustellen. Er wusste, dass sie sich harmonisch in seine stetig wachsende Familie einfügen würde. Ihr Lachen würde in das seiner Schwägerinnen einstimmen, und er sah sich mit seinen Brüdern zusammenstehen und die Frauen beobachten, jeder von männlichem Stolz geschwellt.
Manchmal, wenn er mitten in der Nacht aufwachte, wollte er Mary wecken, um mit ihr über den Traum zu reden, den er gehabt hatte, oder nur ihre Stimme zu hören. Manchmal war er auch völlig zufrieden damit, ihr beim Schlafen zuzusehen und, der Kälte im Raum wegen besorgt und von einer zärtlichen Fürsorglichkeit erfüllt, die Decke über sie zu breiten.
Wenn sie sich tagsüber gelegentlich in verschiedenen Winkeln des Castles aufhielten, fand er Gründe, um Mary aufzusuchen, zeigte ihr ein Vogelnest, das er auf der Burgmauer entdeckt hatte, oder den Entwurf für einen Schiffsrumpf, der ihm immer noch durch den Kopf ging. Einmal schossen sie sogar zusammen mit der Kanone auf die Fichten, und als Mary schließlich tatsächlich einen Treffer erzielte, war sie so aufgeregt, dass sie Hamishs Gesicht in die Hände nahm und ihm einen herzhaften Kuss auf den Mund drückte. Dieser Überschwang hatte geradewegs zu anders gearteten Gefühlsentladungen geführt.
Hamish hatte sich angewöhnt, Mary zuzuhören, nicht nur darauf zu achten,
was
sie sagte, sondern
wie
sie es sagte. Wenn sie von Gordon sprach, was hin und wieder vorkam, schwang Trauer in ihrem Ton mit. Wenn sie von ihren Freundinnen erzählte, klang es heiter, und wenn sie ihn mit Worten verführte, wurde ihre Stimme tief und melodisch.
Warum also regten sich in ihrer Gegenwart Bedenken bei ihm? Vielleicht, weil sie den Wunsch zu lachen in ihm weckte. Vielleicht, weil er oft versucht war, sich ihr anzuvertrauen, ihr zu erzählen, was er sich geschworen hatte nie auszusprechen. Irgendwie hatte sie sich an seiner Schutzmauer vorbeigeschummelt, mit einer sanften Berührung, einer launigen Erwiderung oder einem zärtlichen Lächeln.
Er legte die Hände an die Wangen, spürte die Narben auf seinem Gesicht. Manchmal zuckte es in Erinnerung an
Weitere Kostenlose Bücher