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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Ganzwohl
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Gott! Worauf habe ich mich da bloß eingelassen?
    »Nö«, reißt mich Claus aus meinen Gedanken. »Was soll sein?« Und starrt weiter auf die Straße.
    Da war sie, die erwartbare Antwort auf die dümmste aller Fragen.
    Das kann doch alles nicht wahr sein, denke ich. Das klingt wie das Drehbuch für einen schlechten Film: Die nicht mehr ganz junge Hauptdarstellerin lernt einen scheinbar geläuterten Mörder im Internet kennen. Lässt sich von seinem Charme blenden, verliebt sich. Fährt mit ihm ausgerechnet an den abgelegensten Ort Deutschlands, und dann, auf der Fahrt dorthin, wird er plötzlich ganz seltsam und wortkarg. Verändert nach und nach sein Verhalten. Entpuppt sich als eiskalter Killer, und sie muss im Hexenhäuschen ohne Handyempfang tagelang um ihr Leben kämpfen.
    Liefe dieser Film im Fernsehen, würde ich umschalten. Ein Klischee jagt das nächste, würde ich wohl denken. Aber das ist kein Fernsehen, das ist die Realität. Meine Realität. Auch wenn ich mich im Moment fühle, als würde ich träumen. Ich stehe neben mir, mir ist leicht schwindelig. Szenen aus Shining huschen durch meinen Kopf – einer der besten Horrorfilme aller Zeiten und bis vor Kurzem einer meiner Lieblingsfilme. Eigentlich eine ganz ähnliche Grundgeschichte: Jack Nicholson mutiert in der Einsamkeit eines riesigen, verlassenen Hotels vom netten Ehemann und Vater zu einem Beil schwingenden Irren. Es fängt mit ganz kleinen Wesensveränderungen an und …
    Nur um nicht mehr an diesen Film denken zu müssen, stelle ich die zweitdümmste aller Fragen: »Wirklich nicht? Du bist so komisch.«
    »Komisch? Ich bin nicht komisch. Das hier ist alles andere als komisch. Ich fahre hier seit sechs Stunden bei schwierigsten Straßenverhältnissen. Es sind nur unfähige Idioten und Sonntagsfahrer unterwegs. Mein Rücken tut weh. Kein Ende in Sicht …«
    »Tut mir leid. Aber du wusstest doch …«
    »Muss dir nicht leidtun. Und ja, ich wusste es, verdammt noch mal. Aber es nervt trotzdem.«
    »Ja, klar, das verstehe ich, tut mir wirklich leid …«
    »Herrgott, nun sag doch nicht dauernd, dass es dir leidtut!«
    »Ich wollte nicht, tut mir … Äh.«
    Ich beiße mir auf die Unterlippe und schweige, doch in mir tobt ein Gefühlssturm.
    Einerseits komme ich mir albern vor mit meinen Gedanken und Ängsten; im selben Moment frage ich mich, ob ich mit meinen unguten Gefühlen vielleicht doch recht habe; zugleich bin ich sauer auf Claus, stinksauer – warum versteht er nicht, was in mir vorgeht? Liegt das nicht auf der Hand? Müsste er nicht viel verständnis voller sein, trotz der schwierigen Straßenverhältnisse und der endlosen Fahrerei? Hatte er nicht versprochen, mir mit allen Mitteln und Möglichkeiten zu helfen? Soll ich ihm jetzt etwa sagen: Ich habe plötzlich Angst. Ich mache mir Sorgen, weil wir an den einsamsten Ort fahren, den ich finden konnte? Außerdem muss ich dauernd an Jack Nichol son in Shining denken? Wie stellt er sich das überhaupt vor? Erwartet er nach zwölf Tagen etwa Normalzustand? Nach so einem Schock? Und nach all den großartigen Versprechungen, die er mir gegeben hat? Ich spüre, wie es in mir brodelt. Es fühlt sich an, als würde eine Art Wutsuppe in mir hochkochen. Ich erschrecke vor mir selbst, über diese heftige Reaktion. Ja, ich bin ein emotionaler Mensch, werde bei einem Streit schon mal laut und knalle mit Türen. Und ja, ich gebe es zu: Ich habe meinem langjährigen Exfreund Thomas während einer Auseinandersetzung mal eine Pfanne voller Spiegeleier hinterhergeworfen, was ihn damals weniger entsetzt als belustigt hat und heute eine gern erzählte Weißt-du-noch-Geschichte ist. Diese Anekdote zeigt aber auch, dass ich zu Wutausbrüchen neige – allerdings nicht am Anfang einer Beziehung und nicht aufgrund von … Tja, ich weiß noch nicht mal, wie ich es nennen soll. Aufgrund von schlechter Stimmung, gepaart mit Hirngespinsten? Weil der Kerl ne ben mir verständlicherweise gerade genervt ist? Eigentlich braucht es sehr viel mehr, um bei mir einen Wutanfall auszulösen.
    Ich versuche, die Wutsuppe herunterzuschlucken, mir nichts anmerken zu lassen und ganz normal zu wir ken. Was soll ich auch sonst machen, hier mitten auf der Autobahn?
    Doch es köchelt weiter in mir. Nach zwölfeinhalb Stunden Autofahrt habe ich das Gefühl, dass mir Dampf aus Nase und Ohren tritt, wie bei einer wütenden Comicfigur.
    In diese Wut mischt sich Angst vor Claus und der erschreckenden Einsamkeit, die uns auf Hiddensee

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