Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
Claus’ Leben nicht Schule, Studium oder Arbeit, sondern Sport. Wenn Claus nicht mit seiner Schwimmmannschaft trai nierte, spielte er Fußball, Eishockey oder Basketball. Wäh rend ich für Reisen nach Asien und Südamerika jobbte und sparte, gab er seine gesamten Ersparnisse für den alljährlichen Skiurlaub mit Freunden aus. Elke war – wie so viele, die in den bayerischen Bergen aufwachsen – eine begeisterte und gute Skifahrerin.
Auch da kann ich nicht mithalten. Obwohl ich aus Oberbayern stamme und bereits als Vierjährige auf Skiern stand, fahre ich nicht besonders gut, und es macht mir keinen allzu großen Spaß. Selbst mit den blondesten Haaren der Welt wäre ich deshalb für Claus völlig uninteressant gewesen. Besoffen von Jagertee und Adrenalin eine schwarze Piste hinunterzujagen, das Schneegeglitzer und das Alpenpanorama vor Augen, die Sonne im Rücken und danach mit der Freundin auf der Hütte Kaiserschmarrn essen – so würde Claus wohl »Glück« beschrei ben. Auch heute noch, obwohl er Elke vergeblich zu einem gemeinsamen Skiurlaub überreden wollte, bevor sie in Streit gerieten und er sie tötete.
Der Kurzurlaub
Wir sind auf dem Weg in unseren ersten gemeinsamen Urlaub, aber nicht in die Berge, obwohl es Winter ist, obwohl es schneit, obwohl es die richtige Zeit zum Skifahren wäre. Aber ich wollte nicht. Konnte nicht. Ich habe ein Ferienhäuschen auf Hiddensee, einer kleinen Insel in der Ostsee, gebucht, über siebenhundert Kilometer von München und hoffentlich noch weiter von dem Gedanken an Skiurlaub entfernt.
Es ist kurz nach Weihnachten, Claus’ Geständnis auf meiner Couch liegt zwölf Tage zurück. Es ist die Zeit zwischen den Jahren; jedes Jahr wieder eine seltsame Phase, in der die Welt stillzustehen scheint, erschöpft von der Weihnachtshektik, dem Geschenke-, Fress- und Besuchsmarathon. Für mich steht die Zeit aus anderen Gründen still. Der Mann an meiner Seite ist ein Mörder – wieder und wieder schießt mir dieser Satz durch den Kopf. Ich vergesse es immer mal für wenige Sekunden oder Minuten, und dann kommt der Gedanke zurück und explodiert in meinem Kopf. Fünf Mal wurde mir in den letzten Tagen schwummerig und schwarz vor Augen, mitten in der Stadt beim Einkaufen, an der Bushaltestelle, auf dem Weg ins Fitnessstudio. Meine Knie gaben plötzlich nach, ich musste mich an eine Wand lehnen oder auf einen Mauervorsprung setzen. Passanten fragten, ob sie mir helfen könnten, ob alles okay sei. »Ja, danke«, sagte ich, »es geht schon. Es ist nichts.« Was für eine Lüge – in Wirklichkeit ist nichts mehr, wie es war.
Claus hatte gesagt, ich solle mir Zeit nehmen, um über alles nachzudenken; er gebe mir alle Zeit der Welt, um herauszufinden, ob ich damit leben kann, ob ich einen Weg finde, damit umzugehen.
Aber ich denke nicht nach. Ich habe auch niemandem davon erzählt. Wollte noch nicht. Konnte noch nicht. Nur Hannah hätte ich es gern gesagt. Eigentlich wollte ich es ihr sofort erzählen, noch am selben Abend, nachdem ich davon erfahren hatte. Aber Hannah – die einzige meiner echten, engen Freundinnen, die hier in München lebt – war auf Geschäftsreise irgendwo in Südchina. Ich hatte versucht, sie telefonisch zu erreichen, aber in dem Mo ment, in dem das Telefon tutete, fiel mir ein, dass in China gerade tiefste Nacht herrschte, darum hatte ich schnell wieder aufgelegt und mich danach nicht mehr aufraffen können, es noch mal zu probieren. In einem verrauschten Interkontinentalgespräch zu sagen, Du, stell dir vor, Claus hat seine Exfreundin umgebracht, erschien mir falsch. Als sie endlich zurückkam, stand Weihnachten vor der Tür, und ich überlegte hin und her, ob ich ihr die Feiertage mit so einer Geschichte verderben wollte. Nein, überlegte ich, ich warte noch. Doch dann platzte es aus mir heraus, als sie mir mein Weihnachtsgeschenk vorbeibrachte – einen türkisfarbenen Bademantel, ein Entspannungsölbad, eine Duftkerze, eine Antistress-Gesichtsmaske und einen Krimi über einen Serienmörder; sie wusste, dass ich verrückt nach Kriminalromanen war, je mehr Morde und Blut, desto besser. Was sie nicht wissen konnte, war, dass sich das von einer Sekunde auf die andere geändert hatte. Als ich sie umarmte, um mich zu bedanken, brach ich in Tränen aus. »Na, na!«, sagte sie. »Sooo doll sind die Geschenke nun auch wieder nicht.«
Ich konnte ihr Erstaunen hören.
»Nein«, sagte ich. »Ich meine – doch, doch, doch, natürlich sind sie toll, vor allem
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