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Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte

Titel: Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Ganzwohl
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untergeht. Selbstverständlich hat er auch die Himmelsrichtung bedacht, sodass wir während des Spaziergangs genügend Sonne von vorn abbekommen. Sein geliebtes Wetterradar im Smartphone – eine ultrapräzise Wettervorhersage für alle Regionen der Welt – vermisst er schmerzlich, versucht aber jedes Mal, es abzurufen, wenn wir irgendwo sind, wo es die Chance auf einen Handyempfang geben könnte. Wenn ich mich irgendwo am Strand einen Moment hinsetzen möchte, kann ich sicher sein, dass er meine Platzwahl mit Kopfschütteln, hochgezogenen Augenbrauen und einem spöttischen »Ist nicht dein Ernst!« kommentiert. Dann habe ich wieder mal eine Stelle ausgesucht, die weder die optimale Windrichtung noch Sonneneinstrahlung bietet.
    Natürlich hat Claus auch seine Fernsehzeitschrift in den Koffer gepackt; bevor er sich für einen Film entscheidet, liest er sämtliche Kritiken, so wie ich es höchstens bei einem Kinofilm mache. Er würde nie, wie ich, ziellos, wahllos und planlos durch die TV -Programme zappen. Er ist überhaupt der einzige Mensch in meinem Umfeld, der eine Fernsehzeitschrift abonniert hat.
    Bis vor Kurzem habe ich all das noch nicht bemerkt, fand es niedlich oder habe nachsichtig darüber gelächelt. Ich war sogar überzeugt davon, dass Claus’ Charaktereigenschaften positive Auswirkungen auf mich haben würden: Tut dir ganz gut, wenn da mal jemand ist, der ein bisschen strukturierter ist als du und einen Plan vom Leben hat, hatte ich mir gesagt.
    Zwanghaft und Kontrollfreak, schießt es mir dagegen jetzt durch den Kopf. Und irgendwann spreche ich es auch aus. Nicht nur das, ich schreie es heraus.
    Ich habe das Gefühl, es nicht mehr auszuhalten.
    Claus ist entsetzt und verletzt. Kein Wunder – aus seiner Sicht flippe ich komplett aus, nur weil wir uns über den Weg bei einem Strandspaziergang nicht einig werden konnten. Alles platzt aus mir heraus. Es dauert Stunden, ihm zu erklären, was in mir vorgeht, was sich da in mir zusammengebraut hat. Am härtesten trifft ihn, dass ich Angst vor ihm habe, auch wenn es nur manchmal ein kurzes Aufflackern, ein flüchtiger Gedanke ist.
    »Aber du hast doch gesagt, dass du keine Angst hast. Das hast du gesagt«, wiederholt er immer wieder. Stimmt, das waren meine Worte direkt nach seinem Geständnis. Da saß ich Arm in Arm mit ihm auf meiner Wohnzimmercouch, eingehüllt in meine Kuscheldecke, und fand die Frage absurd. Ich war in diesem Moment natürlich schockiert, entsetzt, sicher auch überfordert gewesen – aber Angst? Vor ihm? Meinem charmanten, kinderlieben Cowboy? Lächerlich!
    »Ja, das habe ich gesagt«, antworte ich und zögere einen Moment. »Aber das war zu Hause. Auf der Fahrt hierher warst du so komisch, so ganz anders, und ich wusste nicht, warum. Und Hiddensee ist so weit weg von München und so einsam und …« Ich fühle, dass mir Tränen aus den Augen quellen, und schäme mich dafür. »Und dann streiten wir dauernd wegen Kleinscheiß, und alles ist doof.«
    Jetzt läuft auch noch meine Nase, und ich bin mir bewusst, dass ich mich wie eine Vierjährige anhöre.
    Er sieht mich an und nimmt meine Hand. »Bitte nicht weinen, Kristin. Das ist alles ein großes Missverständnis. Ich fand diese Urlaubsidee einfach nicht so gut. Zweihundert, ach was, hundert Kilometer von München entfernt sind die tollsten Skigebiete. Seit Wochen hat’s dort Traumwetter und Pulverschnee, aber wir quälen uns mit dem Auto fast tausend Kilometer an ein graues Meer mit grauem Himmel irgendwo in der Pampa. An einen Strand, der so voller Treibholz ist, dass ich noch nicht mal Laufen gehen kann. Das hat mir einfach ein bisschen die Stimmung verhagelt.« Er klingt schuldbewusst.
    »Ja, aber warum sagst du denn nichts? Ich hab dich doch gefragt, ob dir die Gegend gefällt, das Ferienhaus und alles!«
    »Du warst so begeistert. Ich wollte dir einfach nicht den Spaß verderben, aber …«
    »… als es dann so weit war, hattest du doch keine Lust mehr«, vollende ich seinen Satz.
    »Doch, natürlich wollte ich mit dir wegfahren, aber nicht gerade hierher. Diese wahnsinnig lange Fahrt, und dann hat mir ein Freund vor ein paar Tagen so tolle Fotos vom Skifahren im Stubaital gesimst …«
    »Mensch, Claus, so was musst du mir doch sagen, anstatt alles in dich reinzufressen und dann schlechte Stimmung zu verbreiten.«
    Er senkt den Kopf, spielt mit dem Korken der Rotweinflasche, die wir gestern vor dem Fernseher geleert hatten.
    »Hast ja recht, aber ich hatte dir doch gerade

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