Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
erwartet. Nicht zu vergessen Verzweiflung: So sollte man sich nicht auf dem Weg in den ersten gemeinsamen Urlaub fühlen. Alles läuft falsch. Ich würde am liebsten losheulen. Stattdessen schweige ich, überhöre Claus’ Schimpftiraden über unfähige Autofahrer, gucke aus dem Fenster – im Hintergrund Verkehrsmeldungen und Radiogedudel, in meinem Kopf ein sich immer schneller drehendes Gedankenkarussell.
Bei der Ankunft in Stralsund bin ich froh, aus dem Auto zu kommen und Distanz zwischen mich und Claus zu bringen. Ich reiße die Tür auf, springe hinaus, nehme Claus meinen Koffer aus der Hand und laufe zum Wassertaxi vor, ein Schnellboot, das uns auf die autofreie Insel bringen wird. Die Tickets habe ich zusammen mit dem Ferienhaus online gebucht.
Auf dem Boot sage ich zu Claus, dass ich gleich nachkomme, dass er ruhig schon mal nach drinnen ins Warme gehen solle. Ich klammere mich an die Reling, lege meinen Kopf in den Nacken, bewundere den für Stadtmenschen ungewohnten Blick auf die Milchstraße über mir, sauge die eiskalte Luft in meine Lungen und bilde mir ein, das Meer nicht nur zu riechen, sondern auch zu schmecken. Die Erleichterung über die Ankunft und der phänomenale Sternenhimmel lenken mich ab – die Angst vor Claus ist erst einmal verschwunden. Eine Stunde später sind wir dann endlich im Ferienhaus. Es ist perfekt, die Einrichtung passt zur Landschaft: viel Naturholz, viel Leinen, viele Herbstfarben, warme Beleuchtung. Claus freut sich vor allem darüber, dass es so geräumig ist. Er läuft die kleine Treppe hoch und ruft: »Guck doch mal, zwei Schlafzimmer! Wahnsinn!« Ich muss lächeln und bin plötzlich gerührt, denn mir fällt ein, dass Claus ja in einem winzigen Einzimmerapartment haust. Als ich ihn zum ersten Mal besucht habe, zuckte ich kurz zusammen, denn ich kam mir vor wie in der Wohnung eines Studenten Anfang zwanzig, nicht wie in der eines konservativen Gutverdieners mit Krawatten-Job. Ich hatte bei seiner Einrichtung die üblichen Verdächtigen erwartet, die man häufig in Single-Karrieremänner-Wohnungen findet: die unvermeidliche Corbusier-Liege, ein paar italienische Artemide -Lampen, einen Vitra -Schreibtischstuhl, zu viel schwarzes Leder, an den Wänden Picasso-Drucke, Segelbilder oder ein paar vergrößerte Urlaubsfotos von den Seychellen. Stattdessen war da nur Ikea, so weit das Auge reichte, und viel zu viel Nippes. Es gab sogar zwei gerahmte Matisse-Poster aus der Ikea-Bilderabteilung – ich hatte mich immer gefragt, wer um alles in der Welt die denn kauft. Am schlimmsten aber war der Teppichboden, beigebraun meliert – ich konnte es kaum fassen. All das auf höchstens zwanzig Quadratmetern. Für mich als Design-, Möbel- und Einrichtungsfetischistin war das ein richtiger Schock. Zugleich gefiel es mir aber auch irgendwie: Claus war eben keiner dieser typischen Karrierehengste, die ich in den letzten Jahren kennengelernt hatte. Er brauchte keine Statussymbole und Designermöbel, um zu beeindrucken. Ich empfand es auch als schön, in Claus jemanden gefunden zu haben, dem Äußerlichkeiten nicht so wichtig sind. In der Redaktion der Frauenzeitschrift, wo ich seit Jahren arbeite, herrscht eine Art Geschmacksterrorismus im Kollegenkreis, dem man sich zwangsläufig nach und nach anpasst. Es gibt in die ser Frauenzeitschriftenwelt unzählige Dos and Don’ts: bei Handtaschen, Haarschnitten, Hobbys, Uhren, Unterwäsche, Urlaubszielen, Schönheitsoperationen, Schuhen, Schmuck – und natürlich auch bei Möbeln. Ich stellte mir die Gesichter meiner kritischen Kolleginnen vor, wenn sie Claus’ Einrichtung sehen würden, und musste bei dieser Vorstellung grinsen.
Aus Claus’ Wohnung sprach für mich damals vor allem eines: Bescheidenheit, bewusstes Understatement, gepaart mit Selbstbewusstsein. »Es gibt Wichtigeres«, schien mir diese Wohnung zuzuflüstern. Etwas, das ich nach meinen Erfahrungen mit den Männern der letzten Jahre wunderbar fand, auch wenn ich mir sofort vornahm, ihm keinerlei Mitspracherechte bei der Einrichtung zu gewähren, sollten wir je zusammenziehen.
Nachdem mir Claus von dem Mord erzählt hatte, interpretierte ich seine Wohnung jedoch noch ein wenig anders. Mir kam es so vor, als wolle er sich mit seinem Einzimmerapartment nachträglich noch einmal selbst bestrafen. Als habe er keinen Anspruch darauf, sich mehr zu gönnen. Als sei es unpassend, vom Knast in eine lichtdurchflutete Loftwohnung voller schöner Möbel zu ziehen – auch wenn er sich
Weitere Kostenlose Bücher