Geliebter Moerder - Eine wahre Geschichte
Banküberfall gewesen sein. Oder bewaffneten Raub, denke ich.
»Hast du eine Bank überfallen? Oder deine Firma um Millionen betrogen?«
»Nein, schlimmer. Viel schlimmer. Ich habe etwas Unverzeihliches getan.«
Bitte, lieber Gott, kein Mord. Lass es wenigstens nur Totschlag sein. Wenigstens nur Totschlag. Das denke ich wirklich in diesem Moment.
Claus räuspert sich. »Ich habe meine langjährige Freundin Elke umgebracht. Ich bin ein verurteilter Mörder.«
Wie alles begann
Claus und Elke kamen mit Anfang zwanzig zusammen. Gekannt hatten sie sich schon vorher, so wie man sich eben kennt, wenn man in einer kleinen Stadt in der süddeutschen Provinz wohnt, dasselbe Gymnasium besucht und den anderen attraktiv findet: Man geht in den Schulfluren aneinander vorbei, wirft sich einen Blick über den Pausenhof zu, sieht sich regelmäßig am Badesee, begutachtet heimlich den Körper des anderen in Bikini oder Badehose, trifft sich auf Partys und in den einzigen zwei Discos und drei akzeptablen Kneipen im Ort. Im Normalfall weiß man, wo der andere wohnt, welche Berufe die Eltern ausüben und ob die großen oder kleinen Brüder Idioten und die Schwestern passabel sind.
»Genau mein Typ« sei Elke gewesen, sagt Claus, und das heißt bei ihm vor allem eines: hellblond und am besten noch blauäugig. Dunkelhaarige Frauen waren für Claus sozusagen unsichtbar, als er noch jünger war. Wenn er Elke näher beschreiben soll, fällt ihm nur ein, dass sie eine »gute Figur« gehabt habe. Das wiederum kann bei Claus sehr viel bedeuten: klein und zierlich, groß und durchtrainiert, kleiner Spitzbusen, große Melonenbrüste, Apfelpo oder breite Hüften bei schmaler Taille und flachem Bauch. Es ist ihm aber unangenehm, da konkreter zu werden.
Das liegt allerdings eher daran, dass er mich, seine neue Freundin, nicht mit Schwärmereien über seine Ex verletzen will. Und nicht daran, dass Claus seine Vergangenheit verdrängt oder nicht mit mir darüber sprechen will, ganz im Gegenteil. Er wäre am liebsten alles sofort losgeworden, an diesem Sonntag auf meiner Wohnzimmercouch. Aber ich wollte nicht, konnte nicht.
Das merkte ich nicht sofort. Ich hörte ihm eine Zeitlang zu, ohne Fragen zu stellen. Bis zu dem Satz, dass es für ihn ein komisches Gefühl sei, sich in meiner Wohnung aufzuhalten.
»Warum das denn?«
»Weil ich mit Elke hier in, äh, in der Nachbarschaft gewohnt habe.«
»Nachbarschaft? Was? Wo genau?«, fragte ich.
Claus schwieg.
»Was gibt es da zu schweigen«, dachte ich. »Das ist doch nun das geringste …«
Ich hatte noch nicht zu Ende gedacht, da zog er mich von der Couch hoch, schob mich zurück in meine schöne, große, helle Altbauküche, ans Fenster mit dem bunten Ranunkelstrauß, den ich gestern auf dem Viktualienmarkt gekauft hatte. Er deutete über die Blumen auf das Küchenfenster der Wohnung schräg gegenüber. Vierzig, fünfzig Meter Luftlinie von meinem entfernt.
Abends, wenn dort drüben Licht brennt, sieht man in der Küche einen alten Holzherd aus Gusseisen wie aus Omas Zeiten. Ich hatte ihn oft bewundert.
»Nein«, sagte ich.
»Doch«, flüsterte er.
»Hast du sie dort …?
»Nein.«
»Wo hast …?«, fragte ich, doch ich beendete den Satz nicht. Ich wollte die Antwort nicht hören. Stattdessen bat ich Claus zu gehen, weil ich merkte, dass es zu viel ist. Ich ertrage die Wahrheit nur scheibchenweise, Stück für Stück.
Wir haben auf meiner Wohnzimmercouch eine Vereinbarung getroffen, Claus und ich. Ich darf jede Frage stellen, wann immer und wo immer ich möchte. Und das habe ich: mitten im Tatort, beim eigentlich romantischen Geburtstagsdinner, im Biergarten, vor dem Einschlafen, einmal sogar, als er unter der Dusche stand. Und ich weiß nicht, wann ich keine Fragen mehr haben werde. Ich spürte, dass ich mich der Geschichte …, der Tat – nein, das richtige Wort lautet: dem Mord – langsam nähern muss. Alles andere erschien und erscheint mir unmöglich.
Ich möchte mehr über Elke erfahren. Sie hat in der Küche schräg gegenüber von meiner gekocht. Für sich und Claus, der nur die Mikrowelle bedienen kann. Ich fühle mich ihr nah.
Ich will wissen, wie sie aussah. »Blond, blauäugig, gute Figur« – mehr ist aus Claus nicht herauszubekommen. Ich bin mir nicht sicher, ob ihm einfach die Fantasie für eine bessere Beschreibung fehlt. Eines jedoch wiederholt er immer wieder: »Sie gefiel mir immer besser, sie wurde mit der Zeit immer schöner.« Claus weiß aber nicht mehr, ob
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