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Geliebter Normanne

Geliebter Normanne

Titel: Geliebter Normanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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bei dessen Niederschlagung Bosgard sein Leben verlor. Er musste sich nur ein wenig in Geduld üben, obwohl Abwarten und Untätigkeit nicht Ralphs Charakter entsprachen, dann würde die Zeit schon für ihn arbeiten. Noch brauchte Bosgard ihn, denn mit dem Einsetzen des Frühlings hatten die Erweiterungs- und Umbauarbeiten an Penderroc Castle begonnen. Ralph war mit dem Beaufsichtigen der Arbeiter betraut worden. Zwar machten Bosgards Sprachkenntnisse des Englischen Fortschritte, sie reichten aber noch nicht aus, um den Heerscharen von Maurern, Zimmerern und Steinmetzen die richtigen Anweisungen zu geben. Die hölzerne Palisade, die früher die Gebäude umgeben hatte, wurde nach und nach abgebrochen und durch eine steinerne Mauer ersetzt. Rund um das Herrenhaus entstand ein kleines Dorf, da die zahlreichen Arbeiter Unterkünfte und Arbeitsstätten benötigten. Auch immer mehr Knechte und Mägde waren nach Penderroc geströmt, denn die vielen Menschen mussten versorgt und verköstigt werden. Allen, die nicht zum eigentlichen Besitz von Penderroc gehörten, bezahlte Bosgard einen angemessenen Lohn. Dies hatte sich im Westen des Landes herumgesprochen, und so wuchs Penderroc von Woche zu Woche. Ralph Clemency würde den Teufel tun, es sich gerade jetzt mit Bosgard zu verscherzen. Zuerst sollte er mit seinem Geld die Burg wohnlich machen, damit es sich später darin angenehm leben ließ. Ralph hatte nämlich weder die Befugnis und noch weniger die Mittel für die vielfältigen Umbauten. Die Vasallen des Königs waren finanziell selbst für ihre neuen Besitztümer verantwortlich, und Bosgard war in der glücklichen Lage, aus einem vermögenden Elternhaus zu stammen. Zudem warf Penderroc genügend ab, um gut davon leben zu können.
     
    Hayla war über die viele Arbeit, die sie von Sonnenaufgang bis Untergang auf den Beinen hielt, dankbar. Schon lange hatte sie nicht mehr daran gedacht, wie ihr Leben war, bevor William, der Eroberer, England überfallen hatte. Die Zeit, als Hayla Kleider aus Samt und in ihrem nachtschwarzen Haar Schmuck getragen hatte, schien ihr wie ein anderes Leben zu sein – und es war unwiderruflich vorbei. Sie, die früher für jeden Handgriff eine Schar Diener gehabt hatte, rutschte nun auf den Knien über kalte Steinböden, kehrte Abfälle und Asche auf und leerte Nachttöpfe. Ihr einfaches Kleid aus grober grauer Wolle war am Saum ständig schmutzig, obwohl Hayla es, sooft es möglich war, auswusch, aber es war das einzige Gewand, das sie besaß. Hayla scheute die harte Arbeit nicht. Nur in der Stille der Nacht, wenn sie nicht schlafen konnte und ihre Gedanken frei schweifen ließ, bedauerte sie, seit Monaten kein Buch mehr gelesen zu haben. Am Hof von König Harold hatte es eine kleine, aber ausgezeichnete Bibliothek gegeben. Jedes Buch war von kunstfertigen Mönchen liebevoll geschrieben und mit farbenprächtigen Bildern versehen gewesen. Oft hatte Hayla sich mit Lady Elfgiva in der Sprache der Franzosen unterhalten, und sie konnte sogar so viel Latein, um der Messe mühelos folgen zu können. Hayla fehlten weder die feinen Stickarbeiten, die ihre Hände früher ausgeführt hatten, noch die opulenten Feste mit Musik und Tanz, doch manchmal wünschte sie sich, sich nicht länger verstellen zu müssen und wieder sie selbst sein zu dürfen. Das jedoch schien für lange Zeit, wenn nicht sogar für den Rest ihres Lebens, unmöglich. Sie war nun Hayla, eine einfache und dumme Magd …
     
    An einem milden Frühlingsabend Ende April war Hayla mit ihrer Arbeit frühzeitig fertig. Sie hatte gerade die Schweine gefüttert, als sie bemerkte, dass die Bauarbeiter den Wohnturm verließen und zu ihren Hütten gingen. Weder Ralph Clemency noch Bosgard de Briscaut befanden sich in Penderroc, sie waren am Morgen zusammen ausgeritten. Hayla zögerte kurz, sah sich nach allen Seiten um, dann huschte sie unbemerkt die steile Wendeltreppe in den zweiten Stock des Turms zu Bosgards Kammer hinauf. Hier hatten die Arbeiter in der letzten Woche die Umbauten abgeschlossen, und Hayla war neugierig zu sehen, wie sich das einstige Gemach von Sir Leofric verändert hatte. Sie fand die Tür unverschlossen und trat langsam in den Raum. Vor Überraschung zog sie geräuschvoll die Luft ein. Die sechseckige Form war erhalten geblieben, aber nun war der Raum lichtdurchflutet und wirkte dadurch bedeutend größer. Früher hatte es lediglich eine schmale Schießscharte als Fenster gegeben, nun waren die Wände aufgebrochen, und

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