Geliebter Normanne
hast«, herrschte Ralph sie auf Englisch an.
»Es … ist nichts …« Hayla bemühte sich um einen unschuldigen Gesichtsausdruck. »Ich wünsche Euch einen guten Appetit.«
Sie drehte sich um und wollte gehen, da griff Bosgard nach einem Zipfel ihres Rockes und hielt sie fest. Zornig fuhr sie herum.
»Lasst mich los!«, fauchte sie, und auch ohne Worte verriet ihr funkelnder Blick ihren Unwillen.
Bosgard lächelte nachsichtig, und seine Finger lösten sich von Haylas Rock.
»Hayla, nicht wahr?«, fragte er in ihrer Sprache. Sie nickte, erstaunt darüber, dass er sich ihren Namen gemerkt hatte. »Ich lerne Englisch«, fuhr er fort und schaute dabei so entschuldigend, dass Hayla gegen ihren Willen lächeln musste. Dann aber drehte sie sich um und verließ hastig die Halle. Bosgard de Briscauts Augen waren grau wie Stein, aber sein Blick war nicht hart, sondern voll aufrichtigem Interesse gewesen. In der Küche sank Hayla auf einen Schemel. Unwillkürlich presste sie eine Hand auf ihr wild pochendes Herz.
»Was ist geschehen, Hayla?« Waline trat zu ihr. »Deine Wangen glühen, und deine Augen glänzen, als hättest du Fieber.«
Bevor die Magd eine Hand auf Haylas Stirn legen konnte, drehte diese schnell den Kopf zur Seite.
»Es ist nichts … In der Halle ist es nur so heiß … Die vielen Männer …« Hayla ärgerte sich, weil sie stotterte, aber als sie Bosgard de Briscaut in die Augen geschaut hatte, war jegliche Angst vor dem Normannen von ihr abgefallen. Hastig stand sie auf und murmelte: »Ich muss das Ale hinausbringen …«
Beim Umfüllen aus dem Fass in die Krüge zitterten Haylas Hände so sehr, dass sie einige Tropfen verschüttete.
»Weißt du, dass der Herr unsere Sprache lernt?«, fragte sie Waline, um sich abzulenken.
Die Magd nickte, ihre Lippen kräuselten sich unwillig.
»Aber ausgerechnet Sir Ralph ist sein Lehrmeister. Das wird dem gar nicht passen, wenn der Herr unsere Sprache versteht, denn dann kann dieser Clemency uns nicht länger Lügen erzählen.«
Hayla lächelte und wischte mit einem Tuch das verschüttete Ale auf.
»Glaubst du, Sir Bosgard hat vor, für längere Zeit in Penderroc zu bleiben?«, fragte Hayla und wunderte sich, warum bei diesen Worten ihr Herz schneller schlug.
Waline zuckte mit den Schultern. Sie bemerkte nichts von Haylas Verwirrung und meinte: »Das mag wohl sein, und so wenig ich ihm traue – Bosgard de Briscaut bedeutet für uns das kleinere Übel. Wenn er wieder an den Hof des Königs geht, bleiben wir unter der Herrschaft von Sir Ralph, und was das für uns bedeutet, mussten wir ja bereits erfahren. Ich befürchte allerdings, dass Sir Bosgard früher oder später ebenfalls seine Maske wird fallenlassen.« Waline konnte nicht ahnen, dass sie mit ihren Worten genau Haylas Befürchtungen aussprach. Einen grimmigen Zug um die Mundwinkel, fuhr die alte Magd fort: »So oder so – wir stehen unter der Knute der Normannen und sind Leibeigene ohne eigene Rechte. Ich bin froh, dass das dein Vater nicht mehr erleben musste …« Waline brach ab und schlug sich erschrocken eine Hand auf den Mund.
»Mein Vater?« Hayla war verwundert. »Mein Vater ist seit so vielen Jahren tot, dass ich keine Erinnerung mehr an ihn habe. Sicher, er war ein angelsächsischer Herr, hätte er jedoch die Schlacht erlebt, wäre er entweder auf dem Schlachtfeld gefallen, oder man hätte ihn in Gefangenschaft genommen. Seine Ländereien wären auf jeden Fall enteignet worden. Somit bin ich eigentlich ganz froh, dass er diese Schmach nicht am eigenen Leib hat erfahren müssen.«
»Ja, du hast recht«, beeilte Waline sich zu versichern und deutete dann auf die Krüge. »Du musst jetzt aber das Ale in die Halle bringen, sonst wird Sir Bosgard ungeduldig.«
Kaum hatte Hayla die Küche verlassen, sank Waline seufzend auf die Bank vor der Feuerstelle. Wie hatte sie nur so unbedacht sein können, dass ihr dieser Satz entschlüpfte? Hayla schien zum Glück keinen Verdacht geschöpft zu haben, aber in Zukunft musste sie vorsichtiger sein! Man hatte ihr ein brisantes Geheimnis anvertraut, welches zu hüten ihre wichtigste Aufgabe war. Neben der Sorge um Hayla, natürlich. Waline hatte das Mädchen in dem Jahr, seit es auf Penderroc war, liebgewonnen wie eine eigene Tochter, die sie nie gehabt hatte. Und sie wollte alles tun, um Hayla zu beschützen, und wenn es sein musste, auch mit ihrem Leben. Nicht vorstellbar, was geschehen würde, wenn Sir Bosgard die Wahrheit über Hayla
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