Geliebter Normanne
Waline. Seit Sir Bosgard in Penderroc ist, hat sich hier fast alles verbessert. Nicht nur, dass die Burg wohnlicher geworden ist, nein, er gibt Hunderten von Männern und Frauen Lohn und Brot. Das Dorf wächst wöchentlich, immer mehr Angelsachsen kommen in unsere Gegend und bauen sich hier eine neue Existenz auf. Sir Bosgard ist ein strenger, aber gerechter Herrscher, und er …«
»Ist ein Normanne«, schnitt nun ihrerseits Waline Hayla das Wort ab. »Ohne diese Eroberer wäre unser Volk nie in die Lage geraten, sich eine neue Existenz aufbauen zu
müssen
.« Waline senkte den Kopf, und Hayla konnte die gemurmelten Worte nicht mehr verstehen. Dem Gesichtsausdruck Walines nach zu urteilen, waren diese aber wenig freundlich.
Trotz allem war Waline bereit, die Gewänder der verstorbenen Lady herauszusuchen und für den Abend herzurichten. Dies tat sie aber mit einem solchen Widerwillen und mit grimmiger Miene, dass Hayla nicht mehr wusste, was sie tun oder sagen sollte, um Waline gegenüber Sir Bosgard gnädiger zu stimmen. Sie selbst konnte sein Verhalten ja auch nicht einschätzen. Nachdem Waline ihr Haar zu einem schweren Zopf geflochten hatte, half sie Hayla in ein leinenes Unterkleid, streifte ihr dann das blaue Obergewand über den Kopf und schlang einen geflochtenen Gürtel aus gelber Seide um Haylas schlanke Taille. Die Tunika war aus schlichter, dunkelgrauer Wolle, aber die goldfarbenen Stickereien an den Säumen ließen sie vornehm und edel aussehen. Als Haylas Haar unter einem weißen Tuch verborgen war, das ihre halbe Stirn bedeckte, trat Waline einen Schritt zurück und musterte aus halb zusammengekniffenen Augen ihren Schützling von oben bis unten.
»Es ist fast so, als wäre ich vierzig Jahre jünger und die Lady steht vor mir. In ihren Kleidern ähnelst du ihr sehr.«
Hayla trat zu Waline und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. Seit ihrer Beichte war dies der erste freundliche Satz Walines gewesen, und Hayla wollte mit der Magd, die sie von ganzem Herzen gern hatte, keine Unstimmigkeit.
»Glaubst du, Sir Bosgard wird zufrieden sein?«, fragte sie und blickte an sich hinunter. Obwohl ihr die Arbeit und die einfachen Lebensbedingungen der letzten Jahre nie etwas ausgemacht hatten, stellte Hayla überrascht fest, wie schön es sich anfühlte, wieder elegante Kleider zu tragen.
»Er will dich zu seiner Hure machen.« Waline scheute sich nicht, ihre Befürchtungen mit brutaler Offenheit auszusprechen. Haylas Kopf ruckte hoch.
»Dazu gehören immer noch zwei«, erinnerte sie Waline. »Sir Bosgard ist nicht wie Ralph, der sich mit Gewalt nimmt, was ihm verwehrt wird.«
»Ich glaube allerdings, dass ihm
das
nicht mehr lange verwehrt bleiben wird.«
Hayla schoss Röte in die Wangen, und sie sah, dass Waline es bemerkt hatte. Darum schob sie das Kinn vor und entgegnete trotzig: »Ja, ich gebe zu, dass ich Sir Bosgard mag. Vielleicht sogar etwas mehr, als es einer Magd gegenüber ihrem Herrn zusteht. Trotzdem sagt mir mein Verstand, dass ich für Bosgard de Briscaut niemals mehr als ein Zeitvertreib sein werde. Ein Mann wie er würde mich niemals zur Frau nehmen.«
Waline stieß ein schnaubendes Lachen aus.
»Ha, aber du hättest nichts dagegen, wenn der Normanne dein Ehemann würde, nicht wahr?«
»Sir Bosgard wird mich niemals bitten, ihn zu heiraten«, wiederholte Hayla, und ihre Worte wurden von einem bitteren Unterton begleitet. Sie musste aufhören zu träumen und ihrem Herz befehlen, sich nicht länger trügerischen Hoffnungen hinzugeben. Rasch legte Hayla eine Hand auf Walines Schulter und sagte leise: »Ich danke dir, dass du dir Sorgen um mich machst, aber ich kann dich beruhigen. Es gibt keinen Grund, sich zu sorgen, und es wird niemals einen geben, weder jetzt noch in Zukunft, denn seine Geliebte werde ich nie werden.« Schon, um mich selbst zu schützen, dachte Hayla, denn sie ahnte, dass – hätte sie seine Liebe erst einmal genossen – sie sich niemals wieder von ihm lösen oder ihn vergessen könnte.
»Wenn das dein Vater wüsste!« Waline seufzte aus tiefster Seele.
»Was hast du denn immer mit meinem Vater?« Hayla runzelte verwundert die Stirn. »Immer wieder kommst du auf ihn zu sprechen, dabei hast du ihn doch gar nicht gekannt. Oder irre ich mich, kanntest du meinen Vater etwa? Das kann doch nicht sein, er starb wenige Jahre nach meiner Geburt. Erst danach kam ich an den Hof von König Harold und machte dort die Bekanntschaft deines Herrn, Sir Leofric.«
»Nein,
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