Geliebter Normanne
natürlich kannte ich deinen Vater nicht«, beeilte sich Waline zu versichern und hoffte, Hayla würde nicht merken, wie aufgeregt sie war. »Ich denke nur, dass dein Vater das Bestmögliche für dich wollte und wenig erfreut darüber wäre zu sehen, dass dein kleines, törichtes Herz für einen Feind unseres Volkes schlägt.«
Wie gut sie mich kennt, dachte Hayla. Vielleicht besser, als ich mich selbst kenne. Glücklicherweise fiel Waline ein, dass es Zeit für das Abendessen war.
»Ach herrje, ich muss in die Küche, um nachzuschauen, ob alles fertig ist. Mit deiner Hilfe ist ja künftig nicht mehr zu rechnen, oder?«
Hayla zuckte mit den Schultern und lächelte resigniert.
»Sir Bosgard wünscht, dass ich nicht mehr als Magd arbeite, doch irgendetwas muss ich tun.«
»Und was Sir Bosgard wünscht, ist dir natürlich Befehl.« Diese Bemerkung konnte Waline sich nicht verkneifen, bevor sie zur Tür hinauseilte und eine verwirrte Hayla zurückließ.
Seit auf Penderroc Castle gebaut wurde, speisten die höhergestellten Arbeiter und ihre Familien ebenfalls in der Burg, so dass die Halle bis auf den letzten Sitzplatz gefüllt war und die Stimmen wie in einem Bienenkorb durcheinandersurrten. Rund zwei Dutzend Männer und Frauen, die niedrige Arbeiten verrichteten, mussten ihre Schüsseln stehend leeren. Bosgard de Briscaut hatte die strenge Sitzordnung, die es an normannischen Tafeln gab, eingeführt, an die sich alle zu halten hatten. Als Hayla die Wendeltreppe herunterkam, stand Bosgard von seinem Platz auf und trat ihr entgegen. Er bot ihr seinen Arm an, und Hayla blieb nichts anderes übrig, als ihre zitternde Hand auf seinen Ärmel zu legen. Unter ihren Fingern fühlte sie weichen Samt, und doch meinte sie, Bosgards Haut zu spüren, was ihr einen wohligen Schauer über den Rücken jagte.
Als die Leute Hayla, in edle Gewänder gekleidet, an Sir Bosgards Arm sahen, verstummten mit einem Schlag alle Gespräche, und an die fünfzig Augenpaare richteten sich auf Bosgard de Briscaut und Hayla.
Bosgard, der mit dieser Reaktion gerechnet hatte, räusperte sich kurz, blickte in die Runde und sagte laut und vernehmlich: »Ab sofort hat Penderroc Castle eine Herrin. Lady Hayla wird dem Haus vorstehen, und ihren Anweisungen und Wünschen ist Folge zu leisten.«
Ein Raunen ging durch die Menge. Hayla bemerkte entsetzt, wie einige der Männer anzüglich grinsten und eindeutige Hand- und Hüftbewegungen machten.
»Sie denken, ich wäre Eure Buhle, weil Ihr mich in diese Stellung erhebt«, presste sie, schamrot im Gesicht, hervor.
Bosgard zögerte in der Bewegung. Ihm wurde bewusst, dass sein Verhalten eine solche Reaktion heraufbeschwor, obwohl er dies nicht beabsichtigt hatte. Darum erhob er erneut seine Stimme: »Wie mir erst heute bekannt wurde, hat das Mädchen, das ihr bisher als Magd Hayla kanntet, durchaus Anspruch auf eine solche Stellung, denn sie ist von höherer Geburt und berechtigt, aufgrund ihrer Abstammung den Titel einer Lady zu tragen. Nur die Umstände der letzten Zeit zwangen sie dazu, sich für jemanden auszugeben, der sie nicht ist. Doch das ist nun vorbei, denn von mir hat kein Angelsachse und auch keine Angelsächsin etwas zu befürchten. Ich verbitte mir allerdings, Lady Hayla ein unehrenhaftes Verhalten zu unterstellen, und wünsche, dass sie mit dem ihr gebührenden Respekt behandelt wird. Erhebt eure Becher auf das Wohl von Lady Hayla.«
Einer nach dem anderen folgte, und auch die, die nichts zu trinken hatte, erhoben sich von ihren Plätzen.
»Auf Lady Hayla«, ertönte es allerdings nur vereinzelt, und Hayla wusste, die meisten glaubten Sir Bosgards Erklärung nicht. Nie zuvor hatte sie sich so beschämt gefühlt wie jetzt, als Sir Bosgard sie zu dem Platz an der Tafel zu seiner Rechten führte und ihr den Stuhl zurechtrückte. Das Schlimmste an der Sache war ja, dass sie selbst sich Bosgard bereits zweimal regelrecht an den Hals geworfen hatte. Wenn sie an die Szene in seiner Kammer dachte, als er ein Bad genommen hatte … Haylas Hand zitterte bei dieser Erinnerung so sehr, dass sie kaum den Weinbecher halten konnte. Als hätte Bosgard ihre Gedanken erraten, beugte er sich zur Seite und flüsterte in ihr Ohr: »Macht Euch nichts daraus, Lady Hayla, wir beide wissen, dass das, was die Leute denken, nicht stimmt.«
Hayla war zu verlegen, um antworten zu können. Noch mehr als das Verhalten der anderen beunruhigte sie jedoch das Wissen, dass – hätte Ralph sie damals nicht
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