Geliebter Normanne
zurückgeben!«
Die beiden mutigen Sprecher waren nicht auszumachen, aber Bosgard hatte auch kein Interesse daran, die Rufer wegen ihrer Äußerungen zu bestrafen. Wenn ihn Haylas Ausbruch zuerst belustigt hatte, so war er jetzt betroffen, denn ihre Anschuldigungen waren nicht von der Hand zu weisen. Unter seinen Landleuten gab es jede Menge Ralph Clemencys, die mit unvorstellbarer Grausamkeit gegen die Angelsachsen vorgegangen war. König William hatte zwar zwischenzeitlich willkürliche Überfälle und Plünderungen wie auch Gewalttaten unter Strafe gestellt, aber London war weit weg, und der Arm des Gesetzes reichte nicht überallhin.
Gespannt warteten die Leute auf Bosgards Reaktion. Sie befürchteten, er würde Hayla für ihre offenen Worte bestrafen, vielleicht sogar schlagen, wozu er durchaus das Recht hatte. Daher waren sie erleichtert, als Bosgard mit ruhiger Stimme das Wort ergriff, lediglich eine pochende Ader an seiner Schläfe verriet, wie sehr er sich beherrschte.
»Ich schäme mich nicht, zugeben zu müssen, dass in den letzten Jahren in diesem Land viele Ungerechtigkeiten verübt worden sind. Manche vergessen Ehre und Anstand, wenn Ruhm und Reichtum winken. Allerdings glaubte ich, ihr alle hier und Ihr, Lady Hayla, habt erkannt, dass ich kein Interesse an der Ausbeutung meiner Leute habe und dass es mir gleichgültig ist, ob Normanne oder Angelsachse – Hauptsache, jeder macht seine Arbeit und hilft mit, die Sicherheit von Penderroc und seinen Bewohnern zu gewährleisten.«
Betroffenes Schweigen machte sich in der Halle breit. So mancher starrte verlegen zu Boden, denn Bosgard hatte die Wahrheit gesprochen. Unter seiner Herrschaft war noch nie jemand zu Unrecht geschlagen oder gar des Besitzes verwiesen worden.
Bosgard beugte sich zu Hayla und sagte leise etwas zu ihr. Die Leute waren enttäuscht, als Bosgard Hayla etwas ins Ohr flüsterte, was sie nicht verstehen konnten. Bosgard hatte gesagt: »Es ist bedauerlich zu hören, wie Ihr über uns Normannen denkt, Mylady, aber ich finde, das ist ein Thema, das wir beide unter vier Augen erörtern sollten. Ich erwarte Euch in meiner Kammer.«
Dann stand er auf und verließ, ohne noch jemanden eines Blickes zu würdigen, die Halle. Hayla blieb wie betäubt sitzen. Sie bereute keines ihrer Worte, und wenn diese irgendwelche Folgen für sie haben sollten, dann würde sie das hinnehmen. Es war ihr unmöglich gewesen, länger zu schweigen, auch wenn sie nun Bosgards Zorn auf sich gezogen hatte. Als sich eine Hand auf ihre Schulter legte, blickte sie auf. Waline lächelte so zufrieden wie schon lange nicht mehr.
»Dem hast du es aber gegeben, Mädchen. Das ist meine Hayla, wie ich sie kenne. Dein Vater wäre stolz auf dich gewesen.«
Da war sie wieder – die Anspielung auf Haylas Vater, aber Hayla war viel zu aufgeregt, um es zu bemerken und nachzufragen. Bosgard hatte sie in seine Kammer befohlen, und ganz sicher nicht, um dort ein unbeschwertes Gespräch mit ihr zu führen. Diesem Befehl musste sie folgen, auch wenn sie am liebsten einer weiteren Auseinandersetzung mit ihm aus dem Weg gegangen wäre. Was würde geschehen, wenn sie nicht zu ihm ging? Würde es alles noch schlimmer machen, als es ohnehin schon war? Er könnte verlangen, dass sie Penderroc verließ, wie er es im Stall bereits vorgeschlagen hatte. Aber war nicht das genau ihr Wunsch gewesen? Vielleicht würde er sie auch schlagen, das Recht dafür war auf seiner Seite, aber ganz sicher würde Bosgard nicht so weit gehen, sie für ihre Worte zu töten. Obwohl er während ihrer flammenden Rede ganz ruhig geblieben war, hatte Hayla in seinem Blick Betroffenheit, wenn nicht sogar Verletzbarkeit erkannt. Seit er in Penderroc weilte, hatte er nicht nur Gerechtigkeit und Freundlichkeit gezeigt, sondern sie sogar vor den Übergriffen Ralph Clemencys beschützt, dennoch war Bosgard an der Seite des Königs als Kämpfer nach England gekommen. Hayla versuchte nicht, es sich schönzureden, dass er keine Angelsachen getötet hatte, denn so edel war auch Bosgard de Briscaut nicht. Trotzdem empfand sie eine gewisse Schuld, obwohl sie keines ihrer Worte bereute. Allerdings hatte sie über die normannische Eroberung im Allgemeinen gesprochen und Bosgard persönlich nicht verletzen wollen, doch er hatte kein Hehl daraus gemacht, dass er bei der Schlacht von Hastings Männer getötet hatte. Männer, die er nicht gekannt und die ihm nichts getan hatten – außer dass sie Angelsachsen waren, die ihr Land
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