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Geliebter Normanne

Geliebter Normanne

Titel: Geliebter Normanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Michéle
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sich nicht sicher, denn nie zuvor hatte er derart tiefe Gefühle für jemanden empfunden. Wenn er jedoch Hayla heiraten würde, hätte er ein Leben lang Zeit, um es herauszufinden. In diesem Moment entschloss er sich, Hayla zu seiner Frau zu machen, koste es, was es wolle. Dabei gab es nur ein kleines Problem – und das war Hayla selbst. Auch wenn ihre Augen und ihr Körper ihm deutlich zu verstehen gegeben hatten, dass er ihr durchaus nicht gleichgültig war, so brauchte es Mut, ihn, einen Normannen und Feind ihres Volkes, zu heiraten. Es gelang ihm nicht, Hayla zu durchschauen. Zum ersten Mal in seinem Leben war es ihm wirklich wichtig zu wissen, was ein anderer Mensch über ihn dachte. Dies war eine erschreckende und zugleich freudige Feststellung.
    »Nun habe ich wirklich ein neues Zuhause gefunden«, sagte er in die Stille des Raumes, und er fühlte eine so tiefe Zufriedenheit wie nie zuvor in seinem Leben.
     
    Da Hayla wegen ihres aufgewühlten Gemütszustands eine Begegnung mit Waline unter allen Umständen vermeiden wollte, war sie wieder in den Stall gelaufen. Die alte Magd hätte ihr auf Anhieb angesehen, in welchem Aufruhr sie sich befand, und Hayla fühlte sich im Moment nicht in der Lage, Waline Rede und Antwort zu stehen. Sie wusste, die alte Magd wäre entsetzt, wenn sie erfuhr, wie nah sie und Bosgard sich gekommen waren.
    Im Stall war es stockdunkel. Hayla hörte lediglich das Atmen und Stampfen der Pferde, und sie tastete sich zur Box des Esels vor.
    »Jesaja, du gutes Tier«, murmelte sie und schlang die Arme um seinen Hals. »Du bist der Einzige, dem ich mein Herz ausschütten kann.« Der Esel antwortete, indem er Hayla leicht anstieß, und aus ihr sprudelten die Worte nur so hervor. »Ist es das, was die Leute Liebe nennen? Wenn man meint, im Bauch tobt ein Bienenschwarm, und wenn der Boden unter den Füßen schwankt, sobald er mich nur ansieht? Am liebsten würde ich Tag und Nacht seine Stimme hören, egal, was er eigentlich sagt, allein der Klang macht mich glücklich. Ein Blick aus seinen Augen ist wie ein sanftes Streicheln meiner Haut, und jede noch so kleine Berührung setzt meinen Körper in Flammen, aber es schmerzt nicht, sondern verlangt nach mehr. Ich möchte wissen, was er denkt und fühlt, und ich wünsche, dass ihm niemals ein Leid geschieht. Ein Tag, an dem ich ihn nicht sehe, scheint mir ein verlorener Tag zu sein, und gleichgültig, wer und was er ist« – sie seufzte laut und drückte den Kopf in die Mähne des Esels –, »ein Leben ohne ihn ist für mich nicht mehr vorstellbar.«
    »O weh, o weh, das scheint tatsächlich die wahre Liebe zu sein!«
    Für einen Augenblick dachte Hayla, der Esel hätte, so unwahrscheinlich das auch war, zu ihr gesprochen, dann aber erkannte sie die Stimme und fuhr mit einem Aufschrei herum. In der hinteren Ecke der Box machte sie die Umrisse eines Mannes aus, der sich langsam aus dem Stroh erhob.
    »Bruder Pierre! Was macht Ihr denn hier?«
    »Nun ja, es ist mein Esel, nicht wahr? Ich dachte, Jesaja könnte sich einsam fühlen, darum wollte ich die Nacht bei ihm verbringen. Ihr wisst doch, wie empfindsam er ist.«
    Hayla war über die Dunkelheit dankbar, ersparte sie ihr doch die Peinlichkeit, dem Zeugen ihres vermeintlichen Selbstgespräches in die Augen sehen zu müssen. Bruder Pierres Bemerkung über die Liebe hatte erkennen lassen, dass sein Englisch gut genug war, ihre Worte zu verstehen.
    Obwohl der Mönch Haylas Gesicht nicht sehen konnte, spürte er ihre Verlegenheit, darum sagte er in sanftem Ton: »Seid versichert, Lady Hayla, ich wollte Euch nicht belauschen und mich schon früher bemerkbar machen, aber dann hat mich die Poesie Eurer Worte in den Bann gezogen. Selten habe ich jemanden schöner über die Liebe sprechen hören. Ihr solltet Verse schreiben.«
    Seine Worte nahmen der Situation etwas von ihrer Peinlichkeit, und Hayla gelang es zu lächeln.
    »Es tut mir leid, Euch belästigt zu haben«, begann sie, aber der Mönch unterbrach sie ruhig und bestimmt.
    »Ihr braucht keine Angst zu haben, Euer Geheimnis ist bei mir sicher. Seht es so, als hättet Ihr bei mir gebeichtet, und das Beichtgeheimnis ist heilig. Ich weiß zwar nicht, wer der Glückliche ist, dem Ihr eine derart starke Liebe entgegenbringt, aber er muss ein wahrer Glückspilz sein.« Ein leises Glucksen begleitete seine Worte. »Nicht, dass ein Mann meiner Profession etwas über solche Gefühle weiß, geschweige denn sie jemals empfunden hat, dennoch schützt die

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