Geliebter Normanne
Kutte mich nicht davor, das Glück von Liebenden mitzuempfinden. Liebe bedeutet auch Frieden. Kennt Ihr den Auszug aus dem dritten Kolosserbrief, Lady Hayla, in dem es heißt: Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht. In eurem Herzen herrsche der Frieden.«
Spontan trat Hayla vor und legte eine Hand auf den Arm des Mönchs.
»Ihr seid wahrhaftig ein heiliger Mann, Bruder Pierre. Ich danke Euch für Eurer Verständnis, dass Ihr mich nicht für das, was Ihr mit anhören musstet, verurteilt.«
»Warum sollte ich das tun, Lady Hayla? Ihr spracht nur von Euren Gefühlen und nicht davon, dass Ihr und dieser Mann Dinge getan habt, die ausschließlich Eheleuten vorbehalten sind und der Fortpflanzung dienen sollen.«
Erneut errötete Hayla, aber der Mönch konnte es zum Glück nicht sehen.
»Was haltet Ihr von mir?«, rief sie entrüstet.
»Nur das Allerbeste, Lady Hayla. Das habe ich bereits getan, als alle glaubten, Ihr wärt nur eine Magd. Ihr seid eine Dame, das habe ich in jeder Eurer Bewegungen gesehen, und darum weiß ich, dass Ihr auch eine gute und gläubige Christin seid, die niemals gegen Gottes Gebote verstoßen würde.«
Oh, wenn du wüsstest!, dachte Hayla und fragte sich, ob die Küsse und Liebkosungen Bosgards in den Augen der Kirche bereits verwerflich waren. Doch sie verzichtete darauf, Bruder Pierre um Rat zu fragen. Er musste nicht alles wissen. Ohnehin hatte er mehr als genug über ihre Gefühle erfahren.
Hayla streichelte kurz das struppige Fell des Esels, dann wandte sie sich zum Gehen.
»Ich wünsche Euch und Jesaja eine angenehme Nacht, Bruder Pierre.«
Den kurzen Weg zum Hauptgebäude der Burg legte Hayla im Laufschritt zurück. Sie war dankbar, niemandem zu begegnen. Als sie die kleine Kammer betrat, die sie mit Waline teilte, hörte sie an deren gleichmäßigem Atmen, dass die Magd tief und fest schlief. Leise entkleidete sie sich, wobei sie sich ziemlich verrenken musste, um die Schnürung am Rücken zu lösen, und schlüpfte unter die Decke. Obwohl der Tag lang, anstrengend und äußerst aufregend gewesen war, wollte sich der Schlaf nicht einstellen. Ständig schob sich Bosgards Gesicht vor ihre Augen, und ihr schien, als würden ihre Lippen noch immer von seinen heißen Küssen brennen. Wie sollte sie sich künftig ihm gegenüber verhalten? Wie würde er sich verhalten? Obwohl Haylas Zukunft plötzlich mehr als ungewiss war, wollte sie keinen einzigen Augenblick missen, und sie beschloss, alles auf sich zukommen zu lassen. Gegen die Liebe – das erkannte Hayla in dieser Nacht mit aller Deutlichkeit – war man ohnehin machtlos, und es war sinnlos, gegen Gefühle anzukämpfen. Man musste sich mit der Liebe treiben lassen, gleichgültig, wohin sie einen führen würde.
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11. Kapitel
Devon, an der Grenze zu Cornwall, Mai 1068
D er Wagen rumpelte über den unebenen Weg und geriet mit einem Rad in ein tiefes Schlagloch. Knirschend brach die Achse, und der Wagen neigte sich gefährlich zur Seite, kippte zum Glück aber nicht um.
»Aua! Verflixt, was ist denn jetzt schon wieder los?« Lady Constance Aubrey fasste sich an den Kopf, den sie sich an der Decke angeschlagen hatte. »Kutscher, was ist passiert?« Sie hörte sich angespannt an und war wenig freundlich.
»Ich sagte dir von Anfang an, es ist eine dumme Idee, nach Cornwall zu fahren.« Die ältere Frau an Constances Seite versuchte nicht, ihre Missbilligung zu verbergen, und ihr verhärmtes Gesicht wurde dadurch noch unansehnlicher. »Wie es scheint, stecken wir fest, und das bei diesem schrecklichen Wetter …«
Seit die beiden Frauen vor über einer Woche London verlassen hatten, hatte es beinahe ununterbrochen geregnet. Der Regen hatte die ohnehin schlecht befestigen Straßen aufgeweicht, und Constance war bei jedem Aussteigen bis zu den Knöcheln im Schlamm versunken. Sie schob den ledernen Vorhang am Schlag zurück und rief schnippisch: »Hätte vielleicht einer der Herren die Freundlichkeit, mir aus dem Wagen zu helfen?«
Zwei Reiter in leichter Rüstung kamen zu ihr, und ein Mann saß ab.
»Verzeiht, Mylady, aber die Achse scheint gebrochen zu sein.«
In seine Worte mischten sich die heftigen Flüche des Kutschers, aber die derben Worte störten Constance nicht. Tatsächlich lag ihr selbst lag Ähnliches auf der Zunge, und nur ihre gute Erziehung hinderte sie daran, sich ebenso laut wie der Kutscher zu äußern. Fest umklammerte sie den
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