Geliebter Normanne
Haare wiesen jedenfalls auf einen Normannen hin. Der Wirt brachte einen Topf mit Kohlsuppe, Brot und Käse, und Constance kümmerte sich nicht weiter um den Fremden. Die Suppe war geschmacklos und das Brot hart, aber Constance zwang sich, etwas zu essen. Ihre Kammerfrau Luchia seufzte vernehmlich.
»Es scheint, wir werden die Nacht wohl hier verbringen müssen.«
Grimmig presste Constance die Lippen aufeinander und sah sich abschätzend in dem Raum um, bevor sie sagte: »Hoffen wir, es wird das letzte Mal sein, dass man mir eine solche Umgebung zumutet. Wenn wir morgen Penderroc Castle nicht erreichen, werde ich den Kutscher auspeitschen lassen.«
Aus den Augenwinkeln nahm Constance wahr, wie sich der Körper des Fremden versteifte. Die beiden Frauen hatten Französisch gesprochen, und offenbar hatte der Mann ihre Unterhaltung verstanden. Er drehte den Kopf, und Constance fiel vor Überraschung das Stück Brot aus der Hand.
»Sir Ralph Clemency!« Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen, den Ritter in dieser heruntergekommenen Absteige zu treffen. »Was, in aller Welt, macht Ihr hier?«
Ralph erhob sich schwankend, und Constance sah, dass er betrunken war.
»Lady … Constance … Ihr hier?« Er lallte, und sein Blick war trüb. »Ich wusste, heute ist mein Glückstag.«
Schwer ließ er sich auf die Bank an Constances Tisch fallen, obwohl sie ihn nicht dazu aufgefordert hatte. Luchia wich zurück, aber Constance, die den Ritter genauer betrachtete, rief: »Wirt, bringt einen Krug Bier.«
Der Wirt, der ihre Sprache zwar nicht sprach, aber ahnte, was sie wollte, trat mit einem grimmigen Zug um den Mund vor Constance.
»Zahlt Ihr die Zeche dieses Mannes? Seit dem Mittag sitzt er hier und säuft mein Bier, aber ich befürchte, er hat keine einzige Münze in der Tasche.«
Rasch übersetzte Luchia die Worte des Wirtes, da Constance sich bisher geweigert hatte, Englisch zu lernen, und Constance nickte nach kurzem Überlegen.
»Bring auch noch eine Schüssel Suppe und Brot, Wirt«, sagte sie, und zu Ralph gewandt: »Ihr seht aus, als hättet Ihr seit Tagen keine warme Mahlzeit mehr gegessen.«
Ralph gab einen grunzenden Laut von sich, aber seine Augen leuchteten auf, als der Wirt gleich darauf eine Holzschüssel mit dampfender Suppe vor ihn auf den Tisch stellte. Gierig löffelte er die Suppe und vertilgte das Brot mit zwei Bissen. Constance schüttelte verwirrt den Kopf. Am Hof des Königs hatte sie Ralph Clemency als Edelmann und gutgekleideten Ritter kennengelernt, und sie wusste, er war der Schwager von Bosgard de Briscaut. Ralph war zu dessen Besitz in Cornwall aufgebrochen, einige Zeit später war Bosgard ihm gefolgt, und Constance hatte vermutet, die beiden Männer verwalteten gemeinsam Penderroc Castle. Inzwischen hatte Ralph die Schüssel geleert und leckte sich die Lippen.
»Ich habe Durst«, sagte er und winkte dem Wirt.
»Ihr bekommt einen Krug Bier, Sir Ralph«, sagte Constance bestimmt. »Zuvor aber berichtet mir, warum ich Euch in einem solch desolaten Zustand hier antreffe. Wie steht es mit Penderroc Castle? Es ist dort doch alles in Ordnung, oder? Geht es Sir Bosgard gut?«
»Bosgard!« Er spie den Namen aus, als hätte er Mist im Mund. Plötzlich schien Ralph nüchtern zu sein, denn er hieb mit der Faust kräftig auf die Tischplatte und fuhr mit erstaunlich klarer Stimme fort: »Dieser miese kleine Bastard! Ich wünschte, er würde verrecken …«
»Einen Augenblick, Sir Ralph!« Constance unterbrach ihn mit scharfer Stimme. »Ihr sprecht von meinem Verlobten, und ich bitte Euch, Eure Worte zu bedenken.«
Verwirrt fuhr sich Ralph über die Stirn, dabei hinterließ seine schmutzige Hand eine dunkle Spur. Angewidert rückte Constance ein Stück von ihm ab. Am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte sich in ihre Kammer zurückgezogen, aber sie musste erfahren, was auf Penderroc vorgefallen war. Offensichtlich hatten sich Bosgard und Ralph entzweit.
»Ihr seid mit diesem Scheusal verlobt?« Ralph lachte hämisch. »Na, da wird er sich aber freuen, Euch zu sehen. Ihr müsst wissen, er hat längst Ersatz für Euch gefunden. So eine kleine, willige Magd wärmt sein Bett, und sie scheint es ihm gut zu besorgen, denn er …«
»Hört sofort auf, derart respektlos mit meiner Lady zu sprechen!« Luchia richtete sich zu voller Größe auf und starrte Ralph wütend an. »Habt Ihr denn alle Ehre und Anstand im Bier ertränkt?«
Diese strengen Worte brachten Ralph zur Besinnung. Er hatte keine
Weitere Kostenlose Bücher