Geliebter Rebell
sie. Aber als sie das Haus wieder betrachtete, erschien es ihr seltsamerweise wie ihr Heim, und sie konnte es kaum erwarten, hineinzugehen. Sicher würde es wundervoll sein, hier zu wohnen, Onkel Hick hatte das Haus so liebevoll instandgehalten. Sie stellte sich vor, wie sie an Sonntagnachmittagen zu Trödelmärkten fahren würde, um Antiquitäten für dieses oder jenes Zimmer zu kaufen.
»Gayle?«
Sie lächelte ihren Mann an. »Können wir hier übernachten?«
»Aber wir haben nichts dabei…«
»Sicher hält die Haushälterin ein paar Zahnbürsten für Gäste bereit.«
Grinsend legte er einen Arm um ihre Schultern. »Klar, wir bleiben hier.«
Einen Monat später fragte sich Gayle, wieso sie jemals Bedenken gegen die Übersiedlung gehegt hatte. Das AinsworthHaus war ihr sofort ans Herz gewachsen.
Ein Säulengang führte von der neuen Küche zum alten Küchenhaus, das man wegen der Feuergefahr in einiger Entfernung gebaut hatte. Jahrelang war es nicht benutzt worden.
Gayle brauchte drei Wochenenden, um es einzurichten. Auf verschiedenen Trödelmärkten kaufte sie antike Kupferkessel und -pfannen, außerdem Geräte aus Schmiedeeisen und Eichenholz. Die Fenster, an denen sie Baumwollvorhänge anbrachte, liessen viel Licht herein. Vor allem am Morgen kam sie gern hierher. Brent, amüsiert und erfreut über ihre Begeisterung, wurde davon angesteckt. Schon nach der ersten Woche gewöhnten sie sich an, im alten Küchenhaus zu frühstücken.
Das Haupthaus war um eine große Halle herumgebaut. Zur Linken lag die neue Küche, dahinter der sogenannte neue Salon, an den ein Musikzimmer grenzte.
Der zwei Etagen hohe Ballsaal zur Rechten hatte eine Stuckdecke. Diesen schönen Raum mochte Gayle am wenigsten, wusste allerdings nicht, warum. Dafür liebte sie die intime kleine Bibliothek dahinter. Brent bestellte dafür eine Schrankwand mit Stereoanlage, großem Fernseher und Videorecorder. Als Gayle ihm vorwarf, diese Neuerrungenschaften seien stillos, erwiderte er, leider habe er vergeblich nach einem Fernseher aus jenen alten Zeiten gesucht.
Auch Mary und ihr Mann übersiedelten ins neue Domizil. Sie wohnten nicht im Haupthaus, obwohl es genug Platz geboten hätte. Mary verliebte sich in ein Cottage gegenüber der hinteren Säulenhalle, einem ehemaligen Gästehaus. Diesem Arrangement stimmte Gayle nur zu gern zu. Sie verstand sich zwar gut mit Mary, aber es hatte ihr stets mißfallen, dass jemand mit Brent und ihr unter einem Dach lebte. Sie waren beide sehr spontan in ihrer Leidenschaft, und so fand sie es besser, wenn sie allein blieben.
Sie zogen nicht in Onkel Hicks Schlafzimmer, sondern kombinierten die beiden Räume auf der anderen Seite des Flurs zu einer Suite. Das Bad, während der dreißiger Jahre eingebaut und in den fünfzigern renoviert, wurde umgestaltet. Gayle entdeckte eine monströse Wanne mit Klauenfüßen. Brent wollte einen Whirlpool haben, und so kauften sie beides. Am Abend nach der Fertigstellung kreischte sie vor Lachen, denn er beschloß, ständig mit ihr von einem ins andere zu springen, um ihr zu beweisen, dass der Whirlpool besser war.
Die Autofahrt nach Richmond dauerte eine Stunde, und Gayle arbeitete nur mehr an drei Tagen pro Woche in Geoffs Galerie. Am Mittwochnachmittag, um halb fünf, verbrachte sie eine Stunde in Dr. Paul Shaffers Präxis. Sie fand den kleinen Mann mit dem silbergrauen Haar recht sympathisch, und meistens genoß sie die erholsamen Gespräche mit ihm. Doch sie verstand nicht, auf welche Weise er ihr helfen sollte. Am Anfang hatten sie über Gayles Kindheit geredet. Ja, die war wundervoll gewesen; ja, ihre Eltern hatten sie sehr liebevoll grossgezogen. Später erzählte sie von Thane, von ihren Schuldgefühlen nach seinem Tod. Dr. Shaffer zeigte sich freundlich und mitfühlend, sagte ihr aber nichts, was sie nicht schon wusste.
Sie hielt die Therapie für reine Zeitverschwendung. Seit Onkel Hicks Tod war sie nicht mehr von bösen Träumen verfolgt worden, und seit dem Umzug ins Ainsworth-Haus fühlte sie sich heiter und glücklich, ebenso wie Brent. Er bat sie, ihm wieder Modell zu stehen, und sie stimmte bereitwillig zu. Das tat sie gern, und wenn er ihr zu lange zumutete, unbequeme Posen einzunehmen, beklagte sie sich. Dann entschuldigte er sich sofort. Wann immer sie über steife Glieder jammerte, massierte er sie, und dann führte eins unweigerlich zum anderen. Manchmal fragte Dr. Shaffer nach Gayles Sexualleben. Und obwohl sie versucht war, ihm zu erklären,
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