Geliebter Teufel
verstehen, aber sie klangen lieblich und klagend, unglaublich rührend. Es war eine tiefe, heisere, melodiöse Stimme. Sie betete zur Jungfrau Maria, zum heiligen Johannes und zu den himmlischen Heerscharen. Bitte, flehte die Stimme, laß die Kleine leben.
Carly befeuchtete ihre trockenen Lippen und bewegte sich. Die schöne Stimme mit dem ebenmäßigen Rhythmus zog sie magisch an. Die Sprache, in der geredet wurde, war Spanisch, fiel Carly auf, und die Stimme hatte einen so inbrünstigen Klang, daß sie sich innerlich stark bewegt fühlte, förmlich dazu getrieben wurde, die Augen zu öffnen, um zu sehen, von wem die eifrigen Fürbitten stammten.
Sie lauschte der wohlklingenden männlichen Stimme, die mal forderte, mal flehte. Das maskuline Timbre war Labsal für ihre wunde Seele. Sie wollte das Gesicht sehen, das zu dieser Stimme gehörte, um sich zu überzeugen, ob es ebenso schön war.
Sie schaffte es, die Augen aufzumachen, und sah einen schwarzhaarigen Mann, der leise neben ihrem Bett betete. Sein Gesicht war genauso, wie sie es sich ausgemalt hatte. Kräftig geschwungene, schwarze Brauen, schlanke, gerade Nase, hohe Wangenknochen, ein markantes Kinn und sinnliche Lippen. Dichte Wimpern ruhten auf den Wangen. Er hatte die Augen geschlossen, den Kopf gesenkt. Das Haar fiel ihm in die Stirn, und Tränen rannen ihm übers Gesicht.
»Weinen Sie nicht«, sagte sie leise in seiner Sprache. »Sie sind ... zu schön, um ... zu weinen.«
Ruckartig hob er den Kopf. Im ersten Moment sagte er nichts. Dann sprudelten die Worte nur so auf Spanisch hervor, aber so schnell, daß sie nicht mitkam. Aber bei seinem glücklichen Lächeln konnte sie nicht anders, als es zu erwidern.
» Chica «, flüsterte er. »Endlich sind Sie wieder bei uns.«
Sie musterte ihn eine Weile und fühlte sich von der Wärme und Kraft in seinem Gesicht gefangen. »Ich bin so müde«, hauchte sie, befeuchtete ihre Lippen und schaute zu ihm auf. »Und ich habe Hunger. Könnte ich etwas zu essen bekommen?«
Er stand auf. »Si, natürlich. Ich werde mich sofort darum kümmern.« Er faßte nach ihrer Stirn, atmete erleichtert auf, ergriff ihre Hand und drückte sie sacht. »Rühren Sie sich nicht vom Fleck. Ich verspreche Ihnen, ich bin sofort wieder da.«
Wohlig schmiegte sie sich unter die Decken. Sie war froh, daß der Mann sich um sie kümmerte. Wenn sie wieder aufwachen würde, hatte er bestimmt etwas Gutes zu essen für sie.
Als Ramon mit einer warmen Suppe wiederkam, war Caralee McConnell bereits wieder eingeschlafen. Aber das Fieber war gesunken. Seine Gebete waren erhört worden. Er war überzeugt, daß das Mädchen durchkommen würde.
Mit der Erleichterung kam die Müdigkeit. Er stellte das Tablett mit dem Essen auf die Kommode, setzte sich in den Sessel und genehmigte sich etwas Schlaf, bis Pedro anklopfte. Draußen graute bereits der Morgen, Die Kühle der Nacht hing noch spürbar im Raum. Er stand auf, streckte sich und dehnte seine schmerzenden Muskeln, dann kniete er sich vor das heruntergebrannte Feuer.
»Ihr Fieber ist gesunken«, teilte er seinem Freund mit, als der hereinkam. »Ich glaube, sie hat es geschafft.«
Pedro bekreuzigte sich. »Dank der Heiligen Jungfrau.«
»Das habe ich bereits getan«, erwiderte Ramon und lachte zum ersten Mal seit Wochen.
Pedro seufzte bloß. »Ich bringe dir Neuigkeiten, Ramon.«
»Von Alberto?«
»Si. Ich fürchte, die werden dir nicht gefallen.«
Ramon runzelte die Stirn. »Mir hat in letzter Zeit sowieso nicht viel gefallen. Du kannst mir ruhig sagen, um was es geht.«
»Das Mädchen ... Señorita McConnell ist nicht die Frau, die du in ihr gesehen hast.«
»Was meinst du damit?«
»Albertos Cousine Candelaria war ihr persönliches Dienstmädchen. Sie sagt, das Mädchen wäre von ihrem Onkel gewarnt worden, niemals über ihren Hintergrund zu sprechen, aber sie fühlte sich so einsam, daß sie sich vermutlich nach einer Freundin sehnte. Sie vertraute sich Candelaria an und gestand ihr die Wahrheit.«
»Die Wahrheit?« wiederholte Ramon.
»Si.«
»Und die wäre?«
»Das Mädchen stammt nicht aus reichem Elternhaus, wie wir geglaubt haben. Ihr Vater war ein armer, unwissender Kohlengrubenarbeiter. Er starb an einer Lungenkrankheit, als die Señorita gerade zehn Jahre alt war. Das Mädchen und die Mutter mußten Wäsche waschen, um sich ihr Brot zu verdienen. Vor vier Jahren ist ihre Mutter an der Cholera gestorben. Señor Austin ist der Bruder ihrer Mutter und ihr einziger noch
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