Geliebter Unsichtbarer
„Warum bin ich nicht unsichtbar?“
„Beruhige dich. Du bist immer noch vor den Dämonen unsichtbar. Aber ich habe dafür gesorgt, dass die Menschen um uns herum uns sehen.“
„Das kannst du?“ Ihr Puls verlangsamte sich ein wenig.
„Ja.“
„Aber warum? Wäre es nicht sicherer, wenn niemand uns sieht?“
„Ich benötige eine Menge Energie, um uns beide vor Menschen sowie Dämonen zu tarnen. Ich ziehe es vor, Energie zu sparen, wenn es nicht absolut notwendig ist, vor beiden unsichtbar zu sein.“
Selbst ein Unsterblicher schien seine Grenzen zu haben. „Aber was sehen die Dämonen dann?“
Er zuckte die Achseln. „Einfach eine Prostituierte, die mit sich selbst spricht.“
„Oh.“
Einen Augenblick später hielten sie vor einem dreistöckigen Gebäude an. Leila schaute auf die Leuchtreklame im Fenster. Thailändische Massage wurde dort angepriesen.
„Was wollen wir hier?“
„Das ist unser Zufluchtsort.“
Das musste ein Scherz sein!
„Wir bleiben nur für eine Nacht.“
Die Tür öffnete sich und eine Frau Ende Sechzig erschien. Leila korrigiert sich sofort: Sie war keine gewöhnliche Frau, sie war eine Madam . Nannte man nicht so die Besitzerinnen dieser Art von Etablissements? Denn mit Sicherheit hatte diese Frau ihre Blütezeit lange hinter sich. Vielleicht hatte sie vor fünfzehn Jahren noch als Prostituierte gearbeitet, aber wer würde sie jetzt noch wollen? Leila züchtigte sich für ihre bissigen Gedanken und schrieb sie ihrer Müdigkeit zu. Sie musste schlafen, sich ausruhen und vergessen, was heute Nacht passiert war.
„Kommt!“, sagte die Frau einfach und führte sie ins Haus.
Drinnen war es überraschend sauber und . . . heimelig. Leila ließ ihren Blick umherschweifen, als die Frau sie in den zweiten Stock führte. Sie gingen einen langen Flur voller Türen mit Zahlen darauf entlang. Sie schauderte bei dem Gedanken, was sich hinter diesen Türen abspielte. Sie schämte sich nicht, sich selbst einzugestehen, dass sie ein behütetes Leben weit weg von dem Dreck und dem Laster der menschlichen Exzesse geführt hatte.
Sie war noch nie in einem Bordell gewesen. Verdammt noch mal, sie war noch nie in diesem Stadtteil gewesen, und sie hoffte, dass sie, wenn diese Nacht vorbei war, auch nie wieder hierher zurückkommen würde. Ihr einziger Trost war, dass die Chancen, hier jemandem zu begegnen, den sie kannte, so gut wie null waren. Zumindest würde sie nie jemandem erklären müssen, was sie hier machte.
Der Korridor war verschlängelt wie ein Labyrinth und nur die wechselnden asiatischen Bilder an den Wänden zeigten darauf hin, dass sie nicht im Kreise liefen. Üppige Teppiche unter ihren Füßen verschluckten das Geräusch ihrer Schritte. Der Duft ätherischer Öle durchdrang die Luft, fast wie in einem Spa. Offensichtlich nahm die Besitzerin das Schild Thailändische Massage ein wenig zu wörtlich, als könnte sie jemanden damit täuschen, was in diesem Etablissement wirklich vor sich ging.
Eine Tür zu ihrer Rechten öffnete sich und eine junge Frau, bekleidet mit einem bunten kimonoähnlichen Gewand, schlüpfte in den Gang. Sie neigte ihren Kopf zum Gruß und lächelte. Leila verlangsamte ihre Schritte und drehte ihren Kopf, um dem Mädchen nachzusehen, als sie in die andere Richtung verschwand. Sie sah nicht wie die liederliche Prostituierte aus, die sie auf der Straße gesehen hatte. Das Mädchen war hübsch, sauber und angenehm. Wenn sie ihr auf der Straße begegnet wäre, hätte sie nie vermutet, wo sie arbeitete.
Ein Ruck an ihrer Hand riss sie wieder nach vorne. Aiden warf ihr einen rügenden Blick zu.
„Starrst du schon wieder?“
„Ich habe nicht . . . “ Sie verstummte, als sie ein Grinsen auf seinen Lippen bemerkte. Fand er ihr Unbehagen in diesem Haus lustig? Sie schnaubte und drückte ihren Kiefer fest zusammen.
Nach der nächsten Ecke blieb die Frau schließlich vor einer Tür stehen. Sie schloss sie auf und gab Aiden den Schlüssel.
„Danke, Coralee“, sagte er.
Die Frau nickte und schlurfte an ihnen vorbei. Während sie an ihr vorbeistrich, wanderte ihr Blick über Leilas Körper, dann ruhte er auf ihrem Gesicht. Begutachtete die Frau sie, als wäre sie frisches Blut für ihr Bordell?
Dann warf Coralee einen Blick zurück auf Aiden. „Hübsch“, sagte sie zu ihm, bevor sie im Flur verschwand.
Als sie im Zimmer waren, verriegelt Aiden die Tür hinter ihnen. Nun war sie wieder mit ihm alleine.
Das Zimmer war komfortabler, als Leila
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