Geliebter Unsichtbarer
plötzlich in seinen Augen saß. „Was ist passiert?“
Hamish fuhr fort, als ob er ihre Frage nicht einmal gehört hätte. „Aiden hasste die Menschen nicht. Tatsächlich war er neugierig auf sie. Er liebte es, sie zu beobachten, wie sie, ohne sich der Gefahren um sich herum bewusst zu sein, ihrem Leben nachgingen. Und er war stolz darauf, sie beschützen zu dürfen. Jedes Mal, wenn er einen Menschen aus den Klauen der Dämonen gerettet hatte, konnte ich den Stolz und die Zufriedenheit in seinen Augen sehen. Er liebte, was er tat. Genauso wie Julia. Sie waren aus dem gleichen Holz geschnitzt: wild, loyal, und so stolz auf ihre Leistungen. Und davon überzeugt, dass sie nichts falsch machen konnten.“
Er seufzte, und Leila hielt den Atem an, denn sie spürte, dass etwas schief gelaufen war.
„Aiden hatte noch nie zuvor einen Mensch getötet. Er war noch nie vor dieser Entscheidung gestanden. Und er glaubte fest daran, dass jeder gerettet werden konnte, dass selbst wenn die Dämonen schon ihre Krallen in ihnen hatten, er sie trotzdem noch zurückziehen und wieder auf den richtigen Weg bringen konnte.“ Hamish stieß ein bitteres Lachen aus.
„Wie Unrecht er doch hatte. Wie Unrecht wir alle hatten. Aber natürlich hörten wir nicht auf die älteren Hüter oder deren Erfahrung.Denn wir waren jung und unbesiegbar, nicht wahr?“
„Wir dachten alle so, als wir jung waren“, murmelte Leila. Sie hatte am Anfang ihrer Karriere genauso gedacht und gehofft, die Welt zu erobern, nur um in die Realität zurückgeschleudert zu werden, als bei ihren Eltern Alzheimer diagnostiziert worden war.
„Ja, genau wie die Menschen. Aber es war noch schlimmer mit uns, weil wir wussten, dass wir unsterblich sind. Na ja, fast unsterblich: Es gibt nur eine Art von Waffe, die uns töten kann, aber wir waren so arrogant, dass wir dachten, uns würde so was nie passieren. Wir waren geschult worden, die Dämonen zu bekämpfen. Wir bekämpften sie ständig, wir waren gut. Aber wir waren nicht perfekt.“
„Niemand kann jemals perfekt sein.“
Hamish sah sie an, die Augen getränkt mit dem Schmerz seiner Vergangenheit. „Nein, aber wir versuchten es trotzdem. Und scheiterten. Wir alle zahlten am Ende den Preis dafür. Aiden und Julia waren auf einer Mission, aber alles lief schief. Sie waren zum Schutz eines brillanten jungen und ehrgeizigen Physikers eingesetzt worden. Er stand kurz vor einem Durchbruch, der die Arbeit von Stephen Hawking verblassen hätte lassen. Aber wie es so oft mit Menschen passiert, die Erfolg haben wollen, ist kein Preis zu hoch, um diesen Erfolg zu erlangen.“
Seine Worte sanken tief in sie, und sie spürte, wie sie darauf ansprach. Würde ihr das gleiche widerfahren? Wäre sie bereit, jeden Preis zu zahlen, nur um erfolgreich zu sein und ihr Ziel zu erreichen? Und was würde sie dafür aufgeben? Ihre Seele?
„Die Dämonen kontrollierten ihn, aber Aiden dachte, er könnte ihn noch retten, obwohl es schon zu spät war. Er gehörte schon zu ihnen. In dem Kampf, der folgte, rammte der Physiker einen Dolch aus der Dunklen Epoche in Julias Körper. In blinder Wut massakrierte Aiden ihn. Ich habe in meinem ganzen Leben lang noch nie so viel Blut gesehen. Aber für Julia war es zu spät. Sie starb in Aidens Armen.“
Leila keuchte und Tränen drohten ihre Wangen herunterzukullern. „Oh mein Gott.“ Ihr Herz schmerzte für Aiden.
„Bis zum heutigen Tag macht er sich Vorwürfe. Und er verachtet die Menschen für ihre Schwäche, für ihren Mangel an Stärke, den Dämonen zu widerstehen. Er beschützt sie immer noch, aber . . . “
„Aber was?“ Sie rückte näher, begierig, mehr zu hören.
„Ich kann mir gut vorstellen, dass, als er letzte Woche seinen Schützling töten musste, alle Erinnerungen an Julias Tod wieder zurückkamen. Ich habe ihn seit ihrem Tod nicht mehr so aufgewühlt erlebt. Er wird nicht nochmals zögern, einen Menschen zu töten, wenn er glaubt, dass dieser von den Dämonen beeinflusst wird.“
Sie nickte wie betäubt. „Wie kann er meine Gegenwart überhaupt ertragen? Er muss doch all die Parallelen zwischen mir und Julias Mörder sehen. Er muss denken, dass ich ihnen auch erliegen werde.“
Hamish lächelte. „Und trotzdem sucht er deine Nähe.“ Er zögerte. „Vielleicht kannst du ihm helfen, seinen Glauben an die Menschheit wiederherzustellen. Vielleicht wird er endlich begreifen, dass das, was passiert war, eine schreckliche Tragödie war, wenn er sieht, dass nicht
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