Geliebter Unsichtbarer
die gleichen meeresblauen Augen wie seine Tochter, aber ihnen fehlte das Funkeln und die Leidenschaft, die er in Leilas Augen gesehen hatte. Ein trüber Schleier verhüllte sie, als er seine Frau anstarrte, fast so, als wäre er so in seinen Gedanken versunken, dass er sie überhaupt nicht wahrnahm. Tja, vielleicht entwickelten sich Beziehungen nach mehreren Jahrzehnten der Ehe einfach so, denn seine Frau schenkte ihm auch keinerlei Beachtung. Sie spielte mit ihrer Serviette, faltete sie einmal so, dann wieder anders.
Irgendwie sah die Szene nicht aus wie das kameradschaftliche Schweigen, das er gelegentlich bei seinen eigenen Eltern beobachtet hatte. Es sah eher unangenehm aus. Hatten die beiden gestritten?
„Die Suppe kommt gleich“, verkündete die Haushälterin mit der gleichen fröhlichen Stimme, die er zuvor im Flur widerhallen gehört hatte. „Mmm, das wird euch schmecken. Ich habe euch heute ganz frische Kürbissuppe gemacht, mit viel Sahne, so wie ihr es mögt.“
Aiden wandte sich der Frau zu, von ihrem Ton überrascht. Sie klang, als ob mit einem Kind redete. Er ging ihr aus dem Weg und blieb an der anderen Seite des Tisches stehen, als sie zwei Teller mit dampfend heißer Suppe vor das Ehepaar stellte.
„Hier“, sagte sie. „Wie wäre es mit frischem Rosmarinbrot dazu?“
Leilas Mutter nickte. „Und Butter. Vergiss die Butter nicht. Du vergisst immer die Butter.“
Aiden schnappte auf, wie die Haushälterin ihre Augen verdrehte. „Ich habe noch nie die Butter vergessen, Ellie. Erinnerst du dich nicht, wie ich sie heute Morgen extra dick aufgestrichen habe?“
„Du hast mir heute Morgen kein Brot gegeben“, protestierte Ellie.
Ihr Mann schüttelte den Kopf. „Ich habe heute Morgen auch kein Brot bekommen.“
Ellie warf ihm einen scheltenden Blick zu und winkte der Haushälterin näher zu kommen. Sie flüsterte ihr zu: „Muss ich immer mit ihm essen? Nancy, warum geht er nicht nach Hause?“
Nancy seufzte und setzte sich auf den leeren Stuhl neben ihr. „Aber, Ellie, das ist doch George. Du kennst doch George, nicht wahr? Deinen Mann?“
Ellies Augen musterten ihren Mann von oben bis unten. Dann beugte sie sich näher zu ihrer Haushälterin. „Ich glaube nicht, dass das mein Ehemann ist. Er ist alt. Ich habe einen gut aussehenden jungen Mann namens George geheiratet.“
George grunzte nur und begann, seine Suppe zu schlürfen.
Aiden beobachtete verwirrt den Austausch. Irgendetwas stimmte hier nicht. War es möglich, dass die Dämonen bereits Leilas Eltern gefunden hatten und irgendwie ihren Sinn für die Realität verzerrten?
„Warum fängst du nicht mit deiner Suppe an, Ellie, und ich bringe dir deine Medikamente? Vielleicht geht’s dir danach besser.“
Nancy erhob sich aus dem Sessel und ging zur Küchentheke, wo eine Reihe von Medizinfläschchen und -dosen die ganze Ecke einnahm. Sie griff sich zwei lange Kunststoffbehälter, die mit den Wochentagen und ,Ellie‘ und ,George‘ beschriftet waren, und kehrte zurück zum Tisch.
Aiden folgte ihr nicht. Stattdessen starrte er auf die Medikamente und las die Etiketten. Da er kein Arzt war, wusste er nicht, wofür sie waren, doch er musste es herausfinden. Etwas Unerklärliches zwang ihn dazu. Er zog sein Handy heraus, schaltete es im lautlosen Modus ein, und tippte den Namen des ersten Medikaments ein. Ein paar Sekunden später kamen die Suchergebnisse zurück. Er klickte auf das erste und las es. Ein Knoten begann, sich in seiner Brust zu bilden.
Er tippte den nächsten Namen ein, und mehr Ergebnisse erschienen. Wieder las er das erste, und wieder konnte er seinen Augen nicht trauen. Er las die Etikette nochmals und bemerkte, dass Leilas Eltern fast identische Medikamente nahmen.
Schockiert eilte Aiden aus der Küche und flüchtete zur Vorderseite des Hauses, wo er das Wohnzimmer fand und sich auf die Couch fallen ließ.
Leilas Eltern nahmen Medikamente für die Behandlung von Alzheimer.
Jetzt machte plötzlich alles Sinn: die Entschlossenheit, mit der Leila ihre Forschung durchführte, die Zielstrebigkeit, die in ihrem Privatleben reflektierte, und ihre Verzweiflung, als sie herausgefunden hatte, dass ihre Forschung zerstört worden war. Sie tat all dies nur für ihre Eltern. Sie wollte sie retten.
Sie war nicht auf die Anerkennung ihrer Kollegen oder der Menschheit erpicht, dass sie die Erfinderin des ersten Alzheimer-Medikaments, das die Krankheit aufhalten könnte, sein würde. Alles, was sie wollte, war, ihre Eltern
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