Geliehene Träume ROTE LATERNE - Band 5 (Rote Laterne Roman) (German Edition)
werden, könnte sie dermaßen in ihren Bann schlagen, dass sie sich daraus nicht mehr befreien könnte.
»Ich glaube, es ist besser, wenn wir wieder hinübergehen.«
»Aber warum denn?«, fragte er und sah ihr tief in die Augen. Seine dunklen Augen funkelten. »Es ist doch so behaglich hier.«
»Wo haben Sie übrigens so hervorragend Deutsch gelernt?«, lenkte sie nun auf ein anderes Thema über.
»Ich bin längere Zeit in Deutschland gewesen«, sagte er. Er verschwieg ihr allerdings, dass er wegen seiner zahllosen kleinen Gaunereien ausgewiesen worden war. Zum großen, richtig Kriminellen hatte es bei ihm nie gereicht. Dazu waren allzu viele Skrupel in ihm gewesen. Er hatte sich immer am Rande des Milieus bewegt, ohne eigentlich in dieses eindringen zu können. Er war, was man als einen Möchtegernganoven bezeichnete.
»Ach«, sagte Lilly, »das ist ja interessant. Wo sind Sie denn gewesen?«
»Mal hier und mal dort«, meinte er, und Lilly spürte genau, dass er ihr auswich. »Ich meine«, fuhr er fort, »es ist nun wirklich besser, wenn wir wieder hinübergehen. Gleich wird der Tanz beginnen. Wir dürfen es nicht versäumen, wenn der Kapitän den Ball eröffnet.«
»Nein, nein«, rief Lilly, »das dürfen wir auf keinen Fall versäumen!« Lilly schwankte zwischen Erleichterung und Bedauern, als sie die schummrige Bar verlassen hatten.
Sie gingen soeben an ihren Tisch zurück, als Eleonore heranschwebte. Sie trug das Kostüm einer Maharani und wirkte darin doppelt so dick wie vorher. Außerdem war sie bemalt wie ein Zirkusclown. Aber Marios Augen glitzerten, als er Eleonores Schmuck sah.
»Nein, wie reizend!« rief er aus. »Signorina di Gardibaldi!«
Er neigte sich über ihre schwerberingte Hand und hauchte einen Kuss darauf.
»Mein lieber Calzoni«, flötete Eleonore. »Wie ich sehe, haben Sie sich mit Ronnys reizender Schwester angefreundet. Lilly, sagen Sie, wo ist Ihr Bruder? Ich habe ihn eingeladen und hoffe doch, dass er mir keinen Korb geben wird.«
»Nein, nein«, versicherte Lilly. »Das tut er ganz bestimmt nicht. Er wartet in meiner Kabine, weil ... Ach, sehen Sie, dort kommt er schon.«
Lilly und Mario wandten sich ab, während die dicke Maharani auf Ronny zuschwebte. Sie walzte ihre Pfunde mit einer Leichtigkeit über das Parkett, die man ihr nicht zugetraut hätte.
»Irgendwie finde ich sie schon faszinierend«, sagte Mario.
»Wen meinen Sie?«
»Die Gardibaldi«, antwortete er und dachte dabei an den Schmuck, den sie trug und den er mit seinem Kompliment auch meinte.
»Sie ist eine Nervensäge!«, rief Lilly belustigt aus. »Ich bin froh, dass Ronny sich um sie kümmert.«
»Also, ich finde es reichlich sonderbar«, meinte Mario, nachdem sie Platz genommen hatten. »Ein junger, hübscher Mann gibt sich mit einer solchen - verzeihen Sie mir den Ausdruck - femme fatale ab. Hat er ein Faible für ältere Damen? Ich meine, so etwas soll ja in den besten Familien vorkommen.«
»Da haben Sie recht«, sagte Lilly und fühlte, dass sie nun wieder schauspielern musste. »Ronny war schon immer ein schwieriges Kind. Er hat so viele Tricks, dass ich Ihnen gar nicht alle beschreiben kann. Man muss ihn laufen lassen. Ja, ich fürchte, er hat sich tatsächlich in diese Eleonore verliebt.«
»Das ist ja schrecklich«, sagte Mario. »Das ist ja direkt abartig!«
»Das sage ich auch«, beharrte Lilly. »Sehen Sie nur, wie er mit ihr turtelt. Aber lassen wir ihn. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten«, sagte Lilly. »Sehen Sie, dort kommt der Kapitän. Ich glaube, der Ball wird eröffnet.«
Und dann sah Lilly zum erstenmal diese rothaarige Frau, die in ihrer unmittelbaren Nähe stand und sie mit stechenden grünen Augen beobachtete. Lilly spürte ein leichtes Frösteln zwischen den Schulterblättern. Für einen Augenblick starrte sie noch ins Gesicht dieser Rothaarigen. Dann drehte sie sich um. Aber die Furcht blieb.
★
Es wurde eine rauschende Ballnacht. Lilly war fasziniert von dem illustren Publikum und vom Luxus, der wie ein Schleier über allem lag. Mario verwöhnte sie nach allen Regeln der Kunst. Champagner gab es reichlich. Nach Herzenslust konnte Lilly ihr Lieblingsgetränk genießen. Sie war ganz einfach glücklich. Aber immer wieder tauchte diese rothaarige Frau in ihrer Nähe auf, beinahe wie ein Schatten.
»Sagen Sie mal, wer ist eigentlich diese Rothaarige da drüben?«, wagte Lilly schließlich Mario zu fragen.
»Ich weiß es nicht«, log er.
»Sie
Weitere Kostenlose Bücher