Gelinkt
und sein Vaterland verraten. Daß sie seine Kinder verlassen und ihn zum Narren gemacht hätte. Könnte er nicht unter diesen Umständen beschließen, ihr anzutun, was er schon so vielen anderen angetan hat?«
»Sie töten? Aber Augenblick mal, Sir Henry! In Wahrheit hat sie das doch aber nicht getan, oder?«
»Und das bringt uns zu einem anderen Aspekt der scheußlichen Lage, in der Samson sich jetzt befindet.« Der D.G. hievte sich aus dem niedrigen Sitz hoch. Bret stand auf und sah ihm dabei zu, hielt es aber für klüger, ihm nicht beizuspringen. Der D.G. sagte: »Samson stellt eine Menge Fragen. Was, wenn er hinter die Wahrheit kommt? Könnte es ihm nicht in den Sinn kommen, wir hätten ihm einen grausamen Streich gespielt? Und das, ohne die mindeste Rücksicht auf seine Gefühle zu nehmen? Er entdeckt, daß wir ihm nicht vertraut haben. Er fühlt sich zurückgewiesen und gedemütigt. Er ist ein Mann, der gelernt hat, seinen Widersachern gewalttätig entgegenzutreten. Könnte es ihm nicht einfallen, sich an uns zu rächen?«
»Das glaube ich nicht, Sir Henry. Samson ist ein zivilisierter Mensch.« Bret ging durch das Büro und hielt ihm die Tür auf.
»Ist er das?« sagte der D.G. in dem munteren Ton, der ihm immer zu Gebote stand. »Dann ist er nicht anständig ausgebildet.«
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17
Ost-Berlin, November 1983
An der Fassade des Gebäudes zur Karl-Liebknecht-Straße brachten eben ein Dutzend Arbeiter ein riesiges rotes Transparent an: »Lang lebe unser sozialistisches Vaterland«.
Das vorige, das sowohl Wohlstand auch auch Frieden verhieß, war in der Sonne zu einem hellen Rosa ausgeblichen. Aus dem Fenster von Fiona Samsons Büro waren nur die Troddeln sichtbar, doch ein Teil des Rahmens für das neue Transparent ragte quer über das Fenster und verminderte das Tageslicht.
»Ich wollte immer mal nach Amerika«, gestand Hubert Renn, als er die Papiere von ihrem Schreibtisch nahm.
»Wirklich, Herr Renn? Warum?« Sie trank ihren Tee. Sie durfte ihn nicht stehenlassen, denn es war echter indischer Tee, nicht das fade UdSSR-Zeug von den Plantagen in Georgien.
Sie wunderte sich, wo Renn ihn aufgetrieben haben mochte, fragte aber nicht.
»Neugier, Frau Direktor. Es ist ein Land der Gegensätze.«
»Eine repressive Gesellschaft«, sagte Fiona, pflichtgemäß der Linie folgend, an die sie sich immer hielt. »Ein Land, das die Arbeiter versklavt.«
»Aber es sind so rätselhafte Leute«, sagte Renn. Er steckte die Kappe auf seinen Füllfederhalter und diesen dann in die Tasche. »Wußten Sie, Frau Direktor, daß, als die Amerikaner während des Krieges gegen Hitler Geheimagenten über Deutschland abspringen ließen, die allerersten von diesen Fallschirmspringern Angehörige des I.S.K. waren?«
»Des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes?« Ehe Renn ihr erzählt hatte, daß seine Mutter ein Mitglied dieser Organisation gewesen war, hatte Fiona vom I.S.K. noch nie gehört. Er stand aber in Nachschlagewerken.
»Ja, des I.S.K. der noch radikaler war als die KPD. Weshalb haben die Amerikaner gerade solche Leute eingesetzt?
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Genausogut hätten uns unsere Moskauer Freunde als Abgesandte Stalins weißrussische Adlige schicken können.«
Sie lachte. Renn grinste verlegen. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie aus diesen Bemerkungen eine gewisse Sympathie für Amerika herausgehört hätte, inzwischen verstand sie ihren Mitarbeiter besser. Wenn diese Bemerkungen irgendwelche Rückschlüsse auf seine Haltung erlaubten, durfte man annehmen, daß er nicht Amerika preisen, sondern Rußland kritisieren wollte. Renn war ein getreuer Jünger von Marx. Nach Renns Anschauung war Karl Marx der unvergleichliche Prophet und die Quelle aller wahren Aufklärung, ein deutscher Weiser. Alle etwaigen kleinen Unvollkommenheiten und Widersprüche in der Praxis des Sozialismus – Renn hatte ausdrücklich niemals eingeräumt, daß es welche gäbe – waren dem typisch russischen Versagen Lenins und Stalins zuzuschreiben.
Aber Fiona hatte gelernt, mit Hubert Renns blindem Glauben an den marxistischen Sozialismus zu leben, und zweifellos eröffnete ihr der tägliche Umgang mit ihm den Zugang zu einer Welt, die sie bisher kaum wahrgenommen hatte. Da waren zum Beispiel die regelmäßig eintreffenden Briefe von Lisa, der zweiundzwanzigjährigen Tochter, die der ganze Stolz ihres Vaters war. Lisa hatte spielend Russisch gelernt und arbeitete jetzt als Doktorandin in Meeresbiologie –
einem der Fächer, zu denen
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