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Gelinkt

Gelinkt

Titel: Gelinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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allein in ihrer altmodischen Wohnung, aus der man auf die Frankfurter Allee hinabsah, die breite Hauptstraße, die letztlich nach Moskau führte und vielleicht aus diesem Grunde einst Stalinallee genannt worden war. Es war üblich, daß Agenten, die ständig von einer Seite zur anderen wechselten, nicht ins Büro kamen. Mit ihnen traf man sich privat. Sie sah auf die Uhr: Werner verspätete sich.
Sie versuchte zu lesen, war aber zu nervös, sich zu konzentrieren. Ihr fiel auf, daß sie sich Mühe gab, den Pariser Platz nicht anzusehen, der über ihrem Bett hing. Er hing da in einem glatten schwarzen Ebenholzrahmen. Eines Abends hatte sie das Bild abgenommen und den Wechselrahmen geöffnet, um Kirchners kitschigen Frohsinn gegen einen abstrakten Druck auszuwechseln, der mehr nach ihrem Geschmack war. Zu ihrem Entsetzen tauchte hinter der Straßenszene ein Farbdruck von Lochners Jüngstem Gericht auf. Diese Darstellung der die Sünder in der nächsten Welt erwartenden Schrecken war für mittelalterliche Begriffe zwar noch verhältnismäßig milde, aber für die einsame, übermüdete und gequälte Fiona war der unverhoffte Anblick dieser wahnsinnigen und verzerrten Gestalten und Schreckensdämonen entsetzlich. Es war, als wäre sie dazu bestimmt zu entdecken, was hinter der Gemütlichkeit der Berliner Straßenszene auf der Lauer lag. Mit zitternden Händen hatte sie das Jüngste Gericht wieder unter den Kirchner in den Rahmen gelegt, aber seitdem war ihr die gequälte Welt, die unter dem munteren Pariser Platz lauerte, immer gegenwärtig.
Werner bat seine Verspätung zu entschuldigen. Er war vom Regen durchweicht und müde. Er meinte, das sei die Überanstrengung, gleichzeitig sein Bankgeschäft liquidieren zu wollen und Lisl Hennings Hotel zu führen. Doch Fiona fragte sich, ob es nicht der Streß war, Doppelagent zu sein. Werner war Bürger der BRD. Wenn der Sicherheitsdienst zu der Auffassung gelangte, daß er ein Verräter sei, würde er einfach spurlos verschwinden oder noch schlimmer – als Patient in die Pankower Klinik eingeliefert werden.
Sie plauderten ungefähr zehn Minuten miteinander über die Belanglosigkeiten, die sie ausgetauscht hätten, wenn Werner der gewesen wäre, für den er sich ausgab. Erst dann schaltete Fiona das durch die Stimme in Gang gesetzte Mikrophon ab, das sie schon am Tage ihres Einzugs hier entdeckt hatte. Die Unterhaltungen leitender Angestellter wurden nur gelegentlich mitgeschnitten, aber Vorsicht war besser als Nachsicht. »Haben Sie die Kinder gesehen?« Ehe er antwortete, ging er zu dem einzigen bequemen Sessel und ließ sich, noch im Mantel, darin nieder. Es war ihm nicht kalt. Werner behielt oft den Mantel an. Es war, als wollte er immer bereit sein, sofort wieder zu gehen. Er hatte sogar seinen Hut in der Hand behalten und spielte jetzt damit, hielt ihn mit beiden Händen wie das Steuerrad eines schweren Lastwagens auf einer stark befahrenen Straße.
»Ich werde sie nächste Wochen sehen«, sagte Werner. Er sah die Enttäuschung in ihrem Gesicht. »Das ist nicht leicht einzurichten, ohne daß Bernard unbequeme Fragen stellt. Aber es geht ihnen gut, das kann ich Ihnen versichern. Bernard ist ein guter Vater.«
»Ja, ich weiß«, sagte Fiona, und Werner merkte, daß sie es als Vorwurf aufgefaßt hatte. Er fand seine Unterhaltungen mit Fiona in letzter Zeit ziemlich mühsam. Sie konnte verdammt empfindlich sein. Sie war erschöpft. Er hatte den D.G. schon wiederholt darauf hingewiesen. Sie sagte: »Es wäre vielleicht leichter, wenn ich in Moskau oder China wäre, aber es ist unmöglich zu vergessen, daß alles, was ich liebe, so nahe ist.«
»Bald werden Sie zu Hause sein. Hier ändert sich alles. Ich sehe, daß sogar verknöcherte Kommunisten entdecken, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt.«
»Nichts wird sich jemals ändern«, sagte Fiona. »Man kann kein kapitalistisches Paradies auf einen leninistischen Schindanger bauen.«
»Warum so trübsinnig, Fiona?« Selten gab sie ihre persönlichen Ansichten preis.
»Selbst wenn man einen Zauberstab schwänge und Osteuropa in die vollkommene Freiheit zauberte, würde sich nichts rühren. Brets optimistische Ideen über die Wirtschaft stellen den menschlichen Faktor nicht in Rechnung oder die immensen Schwierigkeiten des Wandels, die für jeden, der herkommt und sich mit eigenen Augen informiert, unübersehbar sind. Er spricht vom ›Markt‹, aber die Volkswirtschaften des Ostblocks werden noch auf viele Jahre von

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