Gelinkt
Donaudelta gewesen? Da ist ein riesiges Naturschutzgebiet. Schiffe, wie schwimmende Hotels, fahren die ganze Donau hinunter bis zum Schwarzen Meer. Es wäre ein wunderschöner Urlaub für uns. Würde dir das Spaß machen?«
»Laß mich’s überlegen.«
»Ich habe alle Informationen. Einer der Herzspezialisten von der Charité hat die Reise mit seiner Frau gemacht, die beiden waren begeistert.«
Sie hörte nicht zu. Sie dachte dauernd an die kurze Begegnung, die sie jüngst mit Bernard gehabt hatte. Sie hatten sich in einem Gutshaus in der Tschechoslowakei getroffen, und Bernard hatte sie gedrängt zurückzukommen. Es hätte sie glücklich machen sollen, ihn wiederzusehen, aber statt dessen hatte es sie verzagt und traurig gestimmt. Alle ihre Ängste vor den Schwierigkeiten, wieder mit ihrer Familie vereint zu sein, waren wieder geweckt worden. Bernard hatte sich verändert, sie hatte sich verändert, und ohne Zweifel hatten sich die Kinder enorm verändert. Wie konnte sie jemals wieder zu ihnen gehören?
»Tut mir leid, Harry«, sagte sie.
»Was denn?«
»Ich bin heute keine angenehme Gesellschaft. Ich weiß es.«
»Du bist müde. Du arbeitest zuviel.«
»Ja.« Tatsächlich ängstigten sie neuerdings Gedächtnisausfälle. Manchmal wußte sie nicht mehr, was sie am Tag zuvor getan hatte. Merkwürdigerweise war die ferne Vergangenheit beständiger: Sie erinnerte sich der glorreichen Tage mit Bernard, als die Kinder noch klein waren und sie alle miteinander so glücklich gewesen waren.
»Warum heiratest du mich nicht?« sagte Harry unvermittelt.
»Harry, bitte.«
»Als Bewohnerin der DDR könntest du dich mit Leichtigkeit scheiden lassen.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe mich informiert.«
»Ich wünschte, du hättest das unterlassen.« Wenn er mit einem Anwalt gesprochen hatte, könnte das auf wenig wünschenswerte Weise die Aufmerksamkeit auf sie lenken.
»Fiona, Liebling. Dein Mann lebt glücklich mit einer anderen Frau zusammen.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe sie eines Abends zusammen gesehen. Ich wäre fast über sie gestolpert in dem Gedränge auf der Waterloo Station. Sie nahmen den Zug nach Epsom.«
»Und du hast sie erkannt?«
»Natürlich. Du hast mir doch mal ein Foto von ihm gezeigt. Die Frau war blond und sehr groß.«
»Ja, das ist sie.« Es schmerzte wie ein Dolch im Herzen. Natürlich hatte sie es gewußt, aber es schmerzte noch mehr, wenn sie es von Harry hörte.
»Du kennst sie«, sagte er.
»Ich bin ihr begegnet«, sagte Fiona. »Sie ist hübsch.«
»Ich will dich nicht elend machen, aber wir sollten wirklich mal darüber sprechen. Es ist Wahnsinn, einfach so weiterzumachen wie bisher.«
»Warten wir ab, was passiert.«
»Das sagst du schon, seitdem wir uns kennengelernt haben. Weißt du, wie lange das her ist?«
»Ja … Nein … Lange jedenfalls.«
»Ohne dich zu leben ist für mich die Hölle. Aber dir geht’s nicht schlecht, wenn du von mir getrennt bist«, sagte er tadelnd und hoffte auf Widerspruch, aber sie zuckte nur die Achseln. »Wir haben nicht viel Zeit, Fiona.«
Sie küßte seine Wange. »Harry, wir sind auch so glücklich genug. Und wir haben eine Menge Zeit.« Die gleiche Unterhaltung hatten sie schon oft gehabt.
»Nicht, wenn wir eine Familie gründen wollen. Nicht viel Zeit.«
»Ist es das, was du willst?«
»Das weißt du doch. Unsere Kinder, Fiona, das ist alles, was ich will.«
»Würdest du herkommen und hier leben?« Sie prüfte ihn jetzt.
»Ich habe schon hier gelebt.«
»Das ist nicht das gleiche, als auf die Dauer hier zu leben«, sagte sie.
»Höre ich einen Mißton in der marxistischen Harmonie?«
»Ich stelle eine Tatsache fest.«
»Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen, Liebling.«
»Du hast gesagt, du wärst ein Marxist«, erinnerte sie ihn. Es war unfair, ihm etwas in Erinnerung zu rufen, was er nur einmal während einer erhitzten Debatte gesagt hatte. »Ja. Ich habe gesagt, daß ich Marxist war. Ich war vor langer Zeit Marxist.« Das Segel begann zu flattern.
»Aber nicht mehr?«
Er zog das Großschot, um das Segel auszurichten, ehe er den Kopf zu einer Antwort wandte. Er war ein guter Segler, schnell und geschickt im Umgang mit dem Boot und allem, was er tat. »Ich habe angefangen, Fragen zu stellen«, sagte er.
»Und?«
»Das ist alles. Der Marxismus ist kein Glauben für Leute, die Fragen stellen.«
»Ganz gleich, wie die Antwort ausfällt, stimmt’s?«
»Ja, ganz gleich. Eine Frage beinhaltet die nächste. Tausend Fragen folgen. Nichts kann tausend
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