Gelinkt
stimmt’s?« sagte er plötzlich, ohne den Blick von der Straße zu wenden.
»Nein.«
»Was haben Sie also am Bahnhof gemacht?«
»Ist das wichtig?«
»Ich bin sehr neugierig. Aber es war mein Glück, daß Patsy Sie angesprochen hat. Sie haben mich auf den ersten Blick interessiert.«
»Ich wollte nachdenken.«
»Traurige Gedanken?«
»Es ist alles relativ. Ich habe ein gutes Leben, keine Klagen.«
»Sie brauchen was zu trinken.« Sie lachte. »Kann schon sein«, sagte sie.
Er fuhr durch Marylebone. Es war wenig Verkehr. Sie hätte etwas sagen sollen, sich direkt nach Hause bringen lassen, aber sie sagte nichts. Sie beobachtete den Verkehr, die grimmigen Gesichter der Fahrer und die endlosen Mengen durchnäßter Leute. Er fuhr auf einen Parkplatz hinter einem gepflegten Apartmenthaus in Maida Vale. »Kommen Sie mit nach oben auf einen Drink«, sagte er.
»Ich glaube nicht«, sagte sie und rührte sich nicht.
»Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben. Wie ich Ihnen schon sagte, ist mein Name Harry Kennedy. Ich reagiere allergisch in Sachen Arbeitserlaubnis, aber davon abgesehen bin ich vollkommen harmlos. Ich arbeite an der psychiatrischen Abteilung der St. Basil Clinic in Fulham. Irgendwann werden die mir endlich auch die Arbeitserlaubnis besorgen, und dann werde ich für immer froh und hier glücklich sein.«
»Oder Sie werden sich anderswo ein neues Tätigkeitsfeld suchen?«
»Auch das wäre denkbar.«
»Und Sie sind wirklich Psychiater?«
»So was würde ich doch nicht erfinden, oder?«
»Warum nicht?«
»Der Beruf macht doch jeden kopfscheu, dessen Bekanntschaft man vielleicht sucht. Nehmen Sie nur Ihre eigene Reaktion zum Beispiel.«
»Also ein Drink.«
»Und dann nach Hause zu Mann und Kindern«, versprach er.
»Ja«, sagte sie, obwohl die Kinder in der Obhut eines kompetenten Kindermädchens waren und Bernard sich in Berlin aufhielt, wo er drei Tage lang zu tun haben würde. Kennedys Wohnung war in der zweiten Etage. Sie folgte ihm die Treppen hinauf. Der Block war in den dreißiger Jahren gebaut worden und hatte – abgesehen davon, daß Bombensplitter hier und da ein Stück Granit aus der Fassade gemeißelt hatten – den Krieg unversehrt überstanden.
»Ich habe diese Wohnung von einem reichen Hals-NasenOhren-Spezialisten gemietet, der bis zum April nächsten Jahres am Bellevue-Hospital in New York ist. Wenn sie ihm dort seinen Vertrag verlängern, wird er die Wohnung verkaufen wollen.« Die Wohnung war groß. In den dreißiger Jahren kannten die Architekten noch die Unterschiede zwischen Wandschränken und Schlafzimmern. Er nahm ihren nassen Regenmantel und hängte ihn auf den Kleiderständer aus gebogenem Holz im Flur. Dann zog er den Mantel aus und warf seinen Hut auf einen Stapel ungeöffneter Post, der neben einer Vase mit künstlichen Blumen auf dem Flurtischchen lag. »Ich komme einfach nie dazu, ihm diese ganze Post nachzuschicken, aber größtenteils ist’s doch nur Reklame.«
Der dunkelgraue Nadelstreifenanzug mit Weste aus Kammgarn war von kastenförmigem amerikanischen Schnitt und ließ ihn schlanker erscheinen, als er wirklich war. Über die Weste fiel eine goldene Uhrkette mit kleinem goldenen Anhänger. Er führte sie ins Wohnzimmer. Es war geräumig genug, einen Stutzflügel, ein paar Sofas und einen Kaffeetisch aufzunehmen, ohne deshalb vollgestopft zu wirken. »Nur hier herein. Willkommen in Disneyland. Nehmen Sie Platz. Gin, Whisky, Wodka, Wermut … einen Martini? Was wünschen Sie?« Sie musterte die Einrichtung. Irgend jemand hatte sich große Mühe gegeben, die Wohnung ganz in dem Art-deco-Stil einzurichten, der in Mode gewesen war, als das Haus gebaut wurde.
»Einen Martini. Spielen Sie Klavier?«
Er ging in die Küche, und sie hörte ihn den Kühlschrank öffnen. Er kehrte mit zwei bereiften Martinigläsern, gekühltem Gin und gekühltem Wermut zurück. Unter dem Arm hielt er eine Schachtel mit Sachen zum Knabbern. Er mixte sorgfältig zwei Martini-Cocktails. »Die Oliven sind mir gerade wieder ausgegangen«, sagte er, als er die Gläser zu ihr hinüber trug. »Die Haushälterin ißt sie schneller, als ich sie kaufen kann. Sie ist Spanierin. Ja, ich spiele ein bißchen.«
»Nach diesem Glas muß ich gehen.«
»Keine Angst, ich fahre Sie nach Hause.«
»Der Raum ist sympathisch.« Sie nahm das Glas beim Stiel und hielt es sich an das Gesicht, die eisige Kälte war angenehm. »Mögen Sie dieses Art-deco-Zeug?« Er trank etwas von seinem Martini und stellte dann das Glas ab,
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