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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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Filmschauspielerin verheiratet ist. Auch ihr Bild zeigt er – eine wunderschöne Frau. Außerdem kramt er das Foto eines niedlichen Vorschulkindes aus seiner Brieftasche: «Meine Tochter.» Ihm werde ich auf verschiedenen Stationen des Verbannungsalltags wiederbegegnen und dabei auch mitbekommen, dass er in Wahrheit nur Elektriker im Filmstudio war.
    Alle 100 oder 120 Kilometer bleibt der Zug stehen. Immer auf freier Strecke. Jeder oder zumindest jeder zweite Waggon ist mit einem Bremserhäuschen ausgestattet, in dem ein Soldat sitzt. Hält der Zug, springt er ab und postiert sich zehn oder 15 Meter neben dem Bahndamm. Zwei-, dreimal versuche ich, mit unserem Bewacher ins Gespräch zu kommen, doch er bleibt absolut unzugänglich. Höchstens, dass er mal ein «Weiß nicht» zwischen den Zähnen hervorquetscht.
    Jeder Halt beginnt damit, dass die Frauen aus den Waggons drängen, um ihre Notdurft zu verrichten. Die Männer warten rücksichtsvoll. Dann gehen die Frauen wieder an Bord, und die Männer sind dran. Wenn auch das erledigt ist, beginnt das Beine-Vertreten, und die Kommunikation von Waggon zu Waggon nimmt ihren Lauf.
    In der Regel dauern die Haltepausen einige Stunden, manchmal den halben Tag. Die Leute flanieren paar- und gruppenweise am Zug entlang, plaudern, schauen in die Weite, wo ein Hügel, eine Pferdekoppel und manchmal eine Stadt sichtbar sind. Bei langen Aufenthalten fangen manche Frauen sogar an, Beeren und Pilze zu sammeln – bis der Pfiff der Lokomotive ertönt. Dann geht es hurtig in die Waggons zurück. Manchmal müssen Nachzügler auf den schon anfahrenden Zug aufspringen. Bald hat sich eine regelrechte Technik des Hereinziehens der Nachzügler entwickelt. Zurückbleiben will niemand.
    Nach wenigen Tagen höre ich erstaunt, dass Artur Karlowitsch sich jetzt als ledig ausgibt. Seit wir Tambow passiert haben, ist er mit Benita, der Tochter einer verwitweten Deutschlehrerin, auf Du und Du. Kurz hinter Saratow erklären sie, dass sie heiraten wollen! Im Koffer des Freiers findet sich sogar eine Flasche Wodka, mit der der «Bund fürs Leben» besiegelt wird. Der Vollzug der Ehe findet im Dunkel der Nacht statt, vom Gerüttel des Waggons übertönt. Benitas Mutter fügt sich in die Situation und teilt sogar ihre Vorräte mit ihrem neuen Schwiegersohn. Immerhin könnte ein Mann der Familie in Kasachstan nützlich sein.
    Veronika und ich reden nur im Flüsterton miteinander. Hin und wieder liest sie mir vor, oder ich übersetze ihr einen von Goethes Aphorismen. Stutzig macht uns, dass wir uns im Zickzackkurs durch die russische Tiefebene bewegen: plötzlich in Kujbyschew, dem ehemaligen Samara, wo jetzt die Sowjetregierung residiert – außer dem Genossen Stalin natürlich. Von dort aus fahren wir nördlich bis Tscheljabinsk. Geht es wirklich nach Mittelasien? Unsicher macht uns zudem, dass unsere Reserven schwinden. Die Konserven werden knapp, und das Brot müssen wir auch einteilen.
    Von Tscheljabinsk zuckeln wir weiter nach Osten. Nun befinden wir uns auf der Hauptlinie der Transsibirischen Magistrale und müssen ständig Züge mit Werkbänken und Maschinen vorbeilassen. Das sind Ausrüstungen der Betriebe, die in den asiatischen Teil Russlands verlagert werden. Gelegentlich rollen auch Sträflingstransporte in Richtung Sibirien. Dergleichen habe ich noch nie gesehen: vergitterte Fenster und bauchige Schlösser an den Waggontüren. Aus der entgegengesetzten Richtung kommen Truppentransporte: Panzer, Geschütze, Soldaten.
    Einige Mitreisende vermuten, dass man uns ins Kusbass bringt, wo viele Betriebe neu aufgebaut werden. Andere glauben, man bringe uns in den Fernen Osten. Recht behalten schließlich diejenigen, die auf Karaganda  9 getippt haben. Am 18. Tag steht der Zug zehn Stunden vor Petropawlowsk, dann geht es plötzlich in Windeseile nach Süden.
    In der 20. Nacht halten wir wieder. Dieses Mal heißt es: «Aussteigen, Gepäck mitnehmen!»
    Ein kalter Regen empfängt uns. Der Boden, den wir betreten, ist durchweicht. Beim ersten Schritt versinke ich bis zum Knöchel. Die Schuhe sind voller Wasser. Stockfinster ringsum. Schatten hasten hin und her, Rufe, ein Pferd wiehert. Dann pfeift die Lokomotive, der Zug fährt davon. Keiner weiß, wo wir sind. Jemand hat ein Bahnhofsschild gesehen: «Schokai». Wie sich später herausstellt, ist dies ein Haltepunkt 60 Kilometer nördlich von Karaganda, ein Nest, das man sich elender kaum vorstellen kann.
    Verschlafen und fröstelnd drängen

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