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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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in die Siedlung kommt. Alle zwei bis drei Monate macht er eine Rundfahrt durch den ihm anvertrauten Rayon, um «nach dem Rechten» zu sehen – er lässt sich von den Kommandanten über die Stimmung berichten, nimmt Spitzelberichte entgegen, verhört ein paar Leute, verhaftet auch mal jemanden und erteilt Weisungen für die nächsten Kampagnen. Obwohl er nur ein winziges Rädchen im Staatsapparat ist, führt er sich wie ein Herrscher von Gottes Gnaden auf.
    Im November erlebe ich solch eine Inspektion. Dass der hohe Besuch bevorsteht, spricht sich schnell herum. Erstens hat der Kommandant die Ablieferung einer größeren Menge von Eiern befohlen, und die Leute wissen aus Erfahrung, dass sie für den Bevollmächtigten bestimmt sind, der sie auf dem Markt von Karaganda verkaufen lässt. Zweitens hat die Frau des Kommandanten drei Mädchen zu sich bestellt und angeordnet, dass sie an dem und dem Tag in der Kantine servieren müssen. Die Mädchen hat die Kommandantengattin selbst ausgesucht, denn sie hat die Bewirtung des Besuchs in die Hand genommen und braucht dabei zuverlässige Gehilfinnen. Viel wichtiger ist jedoch, dass sie hübsch sind. Der Bevollmächtigte hat eine Schwäche für hübsche Mädchen, und die ganze Siedlung weiß, dass seine Zufriedenheit davon abhängt. Gegen Ende des Abendessens, das meist sehr spät stattfindet, ziehen sich der Kommandant und seine Frau zurück und überlassen es einer Serviererin, den betrunkenen Bevollmächtigten zu Bett zu bringen.
    Kasbekows Haus liegt der Kommandantur schräg gegenüber, sodass ich die Ankunft des gefürchteten Gastes ungestört beobachten kann. Zuerst stürmen Kinder heran, die am Siedlungsrand postiert waren, um das Erscheinen der Troika* in der Ferne zu melden. Dann tritt der Kommandant mit unterwürfiger Miene vor sein Dienstgebäude. Die anschließende Begrüßung, die Servilität des Kommandanten, die herablassende Genugtuung des Bevollmächtigten könnte nur ein Michail Saltykow-Stschedrin beschreiben.
    Der Bevollmächtigte, ein stattlicher junger Mann im weißen Halbpelz, ist etwa 25 Jahre alt. Begleitet wird er von seinem Kutscher und einem Soldaten. Bei seiner Ankunft scheint die Siedlung ausgestorben. Gearbeitet wird heute kaum: Alles steht im Banne des großen Ereignisses. Der Kaufladen hat geschlossen, die Kantine ist für den hohen Gast reserviert. Stattdessen stehen die Menschen hinter den Fenstern und beobachten, was auf der Straße geschieht. Wer weiß, womit der Gast heute aufwartet. Wen er zum Verhör holen lässt, wen er womöglich mitnimmt.
    Ein oder zwei Stunden lang hört und sieht man nichts. Der Kommandant erstattet offenbar Bericht. Schließlich, nach langem Warten, erscheint ein einzelner Mensch zwischen den niedrigen Häusern – der Gehilfe des Kommandanten. Heute ist sein großer Tag. Er geht nicht, er rennt durch die Straßen: Er holt die Leute zum Verhör. Als Erstes sind die neu angekommenen Deutschen aus Moskau dran. Auch ich werde gerufen.
    Zwei, drei Routinefragen über die Stimmung, ob es Beschwerden gibt. Dann: «Sie als Kommunist, der aus dem faschistischen Deutschland in die Sowjetunion geflohen ist, wollen uns natürlich helfen …» Ich soll in Erfahrung bringen, was die Leute, mit denen ich wohne und arbeite, denken, wie sie ihre Aussiedlung beurteilen, wie sie zur Sowjetmacht stehen … Ich versuche mich aus der Affäre zu ziehen, indem ich betone, dass ich selbstverständlich auch ohne besonderen Auftrag alle feindlichen Aktivitäten melden würde. Doch das überhört der oper . Mit einer Handbewegung bedeutet er dem neben ihm sitzenden Kommandanten, ihm das vorbereitete Papier zu reichen. Darauf sind schon meine Personalien verzeichnet und darunter … mein «Deckname» als Zuträger (Serafim oder Selifan, genau erinnere ich mich nicht mehr). Weiter unten ein kleiner Text, nach dem ich, erstens, die Auflage erhalte, mindestens einmal im Monat einen schriftlichen Bericht über meine Beobachtungen in der Kommandantur abzuliefern, und mich, zweitens, verpflichte, Stillschweigen über meine «geheimdienstliche» Tätigkeit zu wahren.
    Zähneknirschend setze ich meinen Namenszug darunter. Doch sage ich mir: Für mich bedeutet diese Unterschrift nichts.
    Nach mir wird Veronika zur Kommandantur bestellt, und auch sie wird zur Zuträgerschaft verpflichtet.
    Die Anwerbung der Moskauer Neuankömmlinge ist offenbar eine Routinesache. Die wirklich «schweren» Fälle kommen abends dran, wenn man nicht mehr sehen kann,

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