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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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mich losgeworden zu sein, weil ihnen meine Haltung zu dem, was mit uns geschieht, nicht gefällt. Für mich ist die Verbannung etwas Widersinniges, Unfassbares. Sie dagegen nehmen die Ereignisse als unabänderliches Schicksal an. Während ich mir hin und wieder in aufrührerischen Bemerkungen Luft mache, konzentrieren sie sich auf eine rein pragmatische Überlebensstrategie, die darauf abzielt, vorhandene Kenntnisse zu verwerten, nützliche Kontakte zu knüpfen und – wichtig! – schwerer körperlicher Arbeit auszuweichen. Artur, der zivilisierte Gauner, hat sich inzwischen wieder von Benita getrennt und wohnt bei einer verwitweten Bäuerin.
    Eine Woche oder zehn Tage arbeite ich auf der Mühle. Auch dort verdiene ich mein Brot nicht leicht. Manchmal schleppe ich drei oder vier Stunden hintereinander 60 Kilo schwere Getreidesäcke vom Lkw zum Mahlen. Dabei muss ich zwischen den rotierenden Mühlenflügeln hindurchrennen. Dann muss ich mit dem Sack auf der Schulter eine kleine Treppe hochsteigen und den Sack auf das Mühlrad schütten. Besonders schwierig ist, dass die Säcke nicht zugebunden sind, sodass man sie beim Tragen zuhalten muss. Da spüre ich abends meine Knochen. Zugleich empfinde ich Genugtuung darüber, dass ich nicht aufgebe.
    Sehr bald setzen auch tagsüber strenge Fröste ein (nachts sinkt die Quecksilbersäule auf minus 25 Grad). Der erste Schnee fällt. Eine Brigade zur Bereitstellung von Eis aus dem nahegelegenen Ischim wird gebildet. Ich melde mich. Mit von der Partie sind ein dicker Moskauer Ingenieur, der Parfümeriehändler aus der Stoleschnikow-Gasse und noch ein junger Bursche. Der Vierte in unserer Runde bin ich, der Fünfte ist Boris Borissowitsch Brinkwirt-Altaiski, das einstige Mitglied der Landwirtschaftsakademie. Wir wissen, dass er mit jeder körperlichen Arbeit überfordert ist, haben uns aber stillschweigend geeinigt, ihn durchzufüttern. Boris Borissowitsch bemüht sich redlich, mit kleinen Handreichungen zu helfen, und unterhält uns mit geistreichen und lustigen Erzählungen aus seinem Leben.
    Die Eisförderung ist eine Arbeit, die zu beschreiben sich lohnt. Der sieben Kilometer entfernte Ischim, im weiteren Verlauf ein mächtiger sibirischer Strom, ist hier nur 15 bis 18 Meter breit. Schon bald nach Einsetzen des Winters misst seine Eisdecke einen Meter. Mit Brechstangen und Eissägen schneiden wir eine etwa zehn Meter lange und etwa zehn Zentimeter schmale Rinne quer zur Flussrichtung ins Eis. An beiden Enden sägen wir dann im rechten Winkel zwei weitere schmale, aber nur einen Meter lange Rinnen ins Eis. Auf einer Linie zwischen den so gewonnenen Endpunkten der Rinne stellen wir uns nun (parallel zur Zehn-Meter-Rinne) in gleichen Abständen zueinander auf und schlagen mit Brechstangen rhythmisch auf das Eis. Wenn wir kräftig und vor allem genau im Takt miteinander schlagen, bricht der von drei Seiten freigelegte, zehn Meter lange Eisblock ab. Wieder mit Brechstangen zerteilen wir ihn in zehn Würfel zu je einem Kubikmeter oder einer Tonne. Dann wird an der zuerst angelegten Rinne eine schiefe Ebene von etwa 45 Grad ausgehauen. Über diese Ebene werden die schwimmenden Eiswürfel an Ketten von einem Paar kräftiger Pferde aus dem Wasser gezogen.
    Pferdeführer ist ein ehemaliger Kulak, der erbarmungslos auf die keuchenden Gäule einschlägt. Wir unterstützen ihn, indem wir johlen und schreien. Ist der Würfel an Land, haben die Pferde leichtes Spiel – sie ziehen ihn über den grobkörnigen Schnee zum etwa anderthalb Kilometer entfernten Gemüsespeicher der Siedlung. Nach den ersten drei, vier Würfeln bildet sich eine Schnee- oder Eisbahn, auf der die Pferde den prächtig in der Sonne glitzernden Eisklotz wie ein Kinderspielzeug im Galopp davonziehen. So kommen wir auf 20 Kubikmeter pro Tag – zehn Würfel vor dem Mittagessen und zehn danach.
    Nach einiger Zeit nehmen wir noch zwei Männer in unsere Brigade auf. Die Neuen gehören zu einer Gruppe von etwa 50 Deutschen aus Baku, die man erst kürzlich in die Siedlung Nr.   11 verfrachtet hat und die auch ihr Brot verdienen müssen. Bei ihnen handelt es sich zum kleineren Teil um Leute aus den transkaukasischen Winzerdörfern, die in Baku gearbeitet oder studiert haben. Manche von ihnen sehen wie Aserbaidschaner aus, so auch die beiden Neuen in unserer Brigade.
    Ein junger Mann, den wir, wenn ich mich recht entsinne, Dima nennen, stammt aus einer gutsituierten Familie (sein Vater war Arzt und im Nebenberuf

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