Gelöscht (German Edition)
mehr interessant bin.
Mum hat ihre Version der Ereignisse so überzeugend dargestellt, dass sie einfach auf die falsche Fährte anspringen mussten: Ben ist der böse Bube, von dem ich mich hätte fernhalten sollen. Und ich habe mitgespielt. Ich fühle mich illoyal und unaufrichtig. »Tut mir leid, Ben«, flüstere ich. Tränen steigen in mir auf.
Ben würde wollen, dass du in Sicherheit bist.
Ich schwebe zwischen Schlafen und Wachen. Meine Gedanken purzeln ungeordnet durcheinander und ergeben keinen Sinn. Kurze Erinnerungsstücke wirbeln durch meinen Kopf: Ben, wie er läuft. Die Eule seiner Mutter mit weit ausgebreiteten Schwingen. Ben in meinem Traum, als das Licht durch ihn hindurchscheint.
Vor meinem Zimmer sind Schritte zu hören und die Tür geht auf. Ich versuche, die Augen zu öffnen und mich zu bewegen, aber mein ganzer Körper fühlt sich an, als wäre er aus Blei. Die Tür wird wieder geschlossen. Ich registriere leise Bewegungen auf dem Flur und in meinem Zimmer, dann wird Amys Tür abermals geöffnet.
»Kyla? Ich habe dein Zimmer wieder hergerichtet. Amy kommt bald nach Hause.«
Sie hilft mir, aufzustehen und in mein Zimmer zu gehen. Alles riecht frisch und sauber, die Laken sind gewechselt. Beinahe könnte man vergessen, dass die Lorder überhaupt hier waren und meine Sachen durchsucht haben.
»Danke«, flüstere ich. Danach kann ich mich keine Sekunde mehr wachhalten und wieder wird alles um mich herum schwarz. »Kyla?«, weckt mich Mum. »Ich hab dir Suppe gebracht.« Sie sieht ganz normal aus – ihr ist nicht die geringste Spur von Stress wegen der Lorder anzumerken.
»Ich habe keinen Hunger.«
»Iss trotzdem etwas.«
Sie hilft mir auf und versucht, mich zu füttern, aber ich nehme ihr den Löffel aus der Hand und esse selbst. Ich hatte überhaupt keinen Appetit, aber als ich die Tomaten schmecke, die Orange und noch etwas Würziges, bemerke ich plötzlich, wie ausgehungert ich bin. Doch wie kann ich nach dem, was passiert ist, essen?
Ich esse die Suppe auf.
»Wir müssen reden«, beginnt Mum. »Es tut mir leid, aber es muss sein. Du solltest dich erholen, doch das kann nicht warten.«
»Okay.«
»Warum bist du ohnmächtig geworden?«
Die Frage der Lorder, aber Mum verdient eine richtige Antwort.
Ich sinke in mein Kissen. Was verrate ich und was nicht – das ist alles zu viel für mich. Ich fange wieder zu weinen an und mein Levo vibriert. Mum setzt sich neben mich, legt ihre Hand sanft auf meinen Kopf und streichelt mir übers Haar.
Ich öffne die Augen und sehe sie durch den Schleier aus Tränen an. »Was weißt du denn?«
»Jazz hat nicht viel gesagt. Nur dass du dir Sorgen um Ben gemacht hast. Er hat dich zu ihm gefahren, aber ihr seid nicht reingegangen, weil dort Sanitäter und Lorder waren. Und dann hat er dich hergebracht.«
Ich nicke und wimmere. Also habe ich richtig geraten: Jazz hat nicht erwähnt, dass ich bei Ben in der Garage war. »Was ist mit Ben passiert? Bitte sag es mir.«
»Ich weiß es nicht sicher.«
»Ich muss es wissen. Bitte …«
»Wenn ich etwas rausbekomme, lasse ich es dich sofort wissen. Aber du darfst niemand anderen danach fragen. Verstehst du, Kyla? Das hier ist sehr ernst. Sprich nicht über Ben, lass dir nicht anmerken, dass du traurig bist, und sag oder tu nichts, was dich mit der ganzen Sache in Verbindung bringen könnte. Nicht in der Schule oder zu Hause oder sonst irgendwo.«
Mein Kopf pocht unglaublich, aber der Schmerz, wenn ich an Ben denke, ist stärker. Wie kann ich so tun, als wäre alles in Ordnung?
Weil du musst.
»Was du heute den Lordern erzählt hast, ist deine einzige Version der Geschichte. Bleib dabei – egal, wer dich danach fragt: in der Gruppe, in der Schule und zu Hause.« Zu Hause? Sie meint damit: gegenüber Amy und Dad. Und ihre Wortwahl: Was ich zu erzählen habe, ist eine
Geschichte
. Meine Geschichte, nicht die Wahrheit.
Sie weiß mehr, als sie zugibt.
Mum steht auf und geht zur Tür, doch dann dreht sie sich noch einmal um. »Noch eines, Kyla. Das war so eine schöne Zeichnung von Ben. Ich habe sie zusammen mit den anderen Bildern letzte Nacht gefunden. Tut mir wirklich leid, dass ich sie verbrennen musste.« Sie schließt die Tür.
Mit großen Augen starre ich auf die Stelle, wo sie gerade noch stand. Danke, Mum. Schon wieder. Die Lorder hätten die Skizzen mit Sicherheit gefunden. Mum ahnte, dass sie kommen würden, und hat mein Zimmer letzte Nacht durchsucht, während ich schlief. Mir wird klar, dass sie
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